Design Thinking gekoppelt mit einer systemischen Sichtweise hilft Unternehmen bei der direkten Kommunikation mit Kunden und der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen, die wirklich gut ankommen. Wie die Systemtheorie und die Innovationsmethode Hand in Hand gehen, was Empathie leisten kann und welchen Wert Design Thinker haben, zeigt Rike Ullenbaum in diesem Artikel auf.
Kommunikation als Basis zur Erhaltung sozialer Systeme
Organisationen sind sich selbsterhaltende, soziale Systeme. In der Systemtheorie spricht man von autopoietischen Systemen. Soziale Systeme existieren und erhalten sich durch Kommunikation. Diese kann direkt stattfinden und indirekt. Und sie findet nicht nur innerhalb des Systems statt, sondern auch nach außen, unter anderem mit Kunden oder Lieferanten. Ein Beispiel für eine indirekte Kommunikation sind die Verkaufszahlen eines Produktes.
Erfolgreiche Unternehmen sind jene, die viele zufriedene Kunden haben, die die angebotenen Dienstleistungen und Produkte des Unternehmens wertschätzen und bereit sind, dafür einen gewissen Preis zu zahlen. Schlechte Verkaufszahlen sind eine indirekte Kommunikation von Kunden mit dem Unternehmen, beispielsweise über die Tatsache, dass man mit dem Angebot nicht mehr den Nerv der Zeit getroffen hat, oder Qualität und Preis nicht zusammenpassen, oder es einfach ein passenderes Produkt auf dem Markt gibt, welches das Kundenbedürfnis besser erfüllt. Dringende Zeit also, um Anpassungen vorzunehmen.
Allerdings ist die indirekte Kommunikation über Verkaufszahlen nicht die sinnvollste Art, um mit Kunden ins Gespräch zu kommen. Es ist ein sehr später Zeitpunkt im Entwicklungsprozess, das fertige Produkt ist bereits auf dem Markt.
Systemgrenzen öffnen für neue Informationen
Helfen kann hier Design Thinking. Die Innovationsmethode forciert eine deutlich frühere und direkte Kommunikation, denn sie macht die Systemgrenzen durchlässiger für Informationen. Das ist auch von Vorteil bei bereits etablierten Produkten und Dienstleistungen, die durch eine direkte Kommunikation mit den Nutzern verbessert werden können. Jahrzehntelang hat man zum Beispiel nicht darüber nachgedacht, ob Kupferrohre für die Frischwasserversorgung eines Hauses wirklich noch die komfortabelste Variante sind. Es dauerte, bis eine Verständigung zwischen Herstellern und Installateuren gelang, dass die Verwendung einer Kunststoffvariante schneller und einfacher zu verlegen und sogar sauberer ist.
Mentale Modelle bestimmen, was gesehen wird
Doch noch einmal zurück zur Systemtheorie. In autopoietischen Systemen wählt das System aus, welche der wahrgenommenen Informationen als relevant selektiert und wie diese priorisiert werden. Basis dieses Selektionsvorgangs ist der Sinn - also macht diese oder jene Information Sinn für das System, die Organisation. (Ja, „Sinn machen“ gibt es im deutschen Sprachgebrauch nicht. Ich weiß, es ist aber in dieser Verwendung hier viel sinnvoller!)
Bestimmt wird diese Selektion von den vorherrschenden Werten und mentalen Modellen in der Organisation, die ebenfalls durch Kommunikation entstehen und sich erhalten. Geschichten und Narrative werden immer wieder erzählt und festigen die Sicht des Systems auf sich und die Welt und bestimmen so auch das Handeln der einzelnen Akteure. Bei diesem sich selbstbestätigenden Prozess können wertvolle und wichtige Informationen leicht übersehen werden, die der Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens eigentlich zuträglich wären.
Mit Empathie zu neuen Erkenntnissen
Wie kann also mit Design Thinking der selbsterhaltende Kreislauf in einer Organisation soweit durchbrochen werden, um durchlässig für neue Informationen zu werden? Das Schlüsselwort ist hier Empathie. Im Design Thinking Prozess ist Empathie ein fester Bestandteil, um die Wahrnehmung von Informationen zu stärken. Kunden wird intensiver zugehört. Allein das kann schon dazu führen, tradierte Sinnpfade zu verlassen und neue Wege zu finden.
In gewisser Weise wird mit Design Thinking die Zirkularität, die ewige Wiederkehr des Gleichen durchbrochen, da durch frühzeitige Anregungen und Rückmeldungen von außen neue Perspektiven in die Organisation geholt werden. Das geschieht aber eben nicht durch die direkte Frage „Kunde, was brauchst Du?“, sondern durch das Erforschen und Erfragen von Bedürfnissen, von denen der Kunde möglicherweise noch nichts ahnt. Welcher Kunde hätte 1988 schon gesagt: „Du, ich hätte da gerne jetzt ein Touch-Display mit der Möglichkeit 100 Programme unterwegs zu bedienen, weil es total hilfreich ist, kurz vor dem Abflug noch meine Mails zu lesen und das Flugticket gleich digital vorliegen zu haben. Es wäre auch superpraktisch mobil einzuchecken.“
Der systemisch geschulte Design Thinking Coach kann genau das: den Blick noch fokussierter auf die unausgesprochenen Bedürfnisse lenken, Hürden sichtbar machen oder provisorische Lösungen und ihren Mehrwert erkennen.
Design Thinking arbeitet mit iterativen Schleifen, in der Kommunikation zwischen Team und Auftraggeber, und auch durch die Wiederholung der Prozessschritte. Daher würde ich sogar so weit gehen, zu sagen, dass der Design Thinker die bewusste Wahrnehmung der Zirkularität gezielt für den Erfolg nutzen kann. Nicht nur in der Feedbackschleife im Gesamtprozess, die durch die direkte und vor allem frühzeitige Rückmeldung des Nutzers entsteht, sondern ebenso innerhalb der einzelnen Schritte des stark strukturierten Prozesses.
Das notwendige Handwerkszeug zur Erstellung gelungener Design Thinking Prozesse vermittele ich in der Weiterbildung zum Innovation Coach.
Autorin: Rike Ullenbaum