Das Gerangel um Personal und Stellen hat einen guten Grund

15.10.2024

„Dem geht es doch nur darum, noch mehr Mitarbeitende zu führen.“; „Die hat doch nur ihre eigene Karriere vor Augen.“ Wer kennt sie nicht, die Zuschreibungen, die Führungskräfte erhalten, wenn es um die (Neu-)Verteilung von Stellen geht.

Das ist zu undifferenziert. Stellen haben eine zentrale Funktion in der Unternehmenssteuerung. Wird ein neuer Stellenplan gemacht oder gar die Personalsteuerung neu strukturiert, ist das ein hervorragendes Zeitfenster für Entscheider:innen, sich um Stellen und Personal zu rangeln. Die plötzlich auftauchenden Interessenbekundungen, die scheinbar so gar nicht mehr unter einen Hut zu bekommen sind, überraschen nicht. Wie dennoch eine Lösung möglich ist und was dabei zu beachten ist, skizziere ich im Folgenden.

Ein organisationstheoretischer Blick auf Stellenplanung

Kürzlich sprachen wir mit der Personalleiterin eines großen Unternehmens aus dem öffentlichen Sektor über ihre Frage, wie die Personalsteuerung neu organisiert werden kann. Als Anstalt des öffentlichen Rechts muss das Unternehmen einen Stellenplan erstellen, sich diesen durch ein externes Kontrollgremium genehmigen lassen und dann auch so umsetzen. Das schränkt die Beweglichkeit im Umgang mit Stellenbesetzungen deutlich ein: Stellenauf- und abbau, Umbesetzungen, geänderte Stellenbeschreibungen sind genehmigungspflichtig.

Die bisher gelebte Praxis, wie Personal gesteuert wurde, hat über Jahre gut funktioniert. Jeder Bereich hat seine eigenen Stellen wieder besetzt, Umverteilungen von Stellen in andere Bereiche waren die Ausnahme. Das Resultat: jeder Bereich konnte gut für sich planen, allerdings auf Kosten einer Gesamtstrategie, die besonders dort, wo sie mit den Bereichsstrategien konkurrierte, kaum umzusetzen war. In Folge haben es bereichsübergreifende Themen wie Digitalisierung der Produktion oder die Entwicklung neuer Produkte schwer gehabt. Im Unternehmen wissen alle, dass es ein Weiter-so-wie-bisher nicht geben kann, trotzdem haben sich die entscheidenden Player bislang auf kein neues Vorgehen einigen können. Das ist nicht überraschend, versteht man, welche Relevanz Stellen in Organisationen besitzen.

Wie also könnte hier ein optimiertes oder neues Verfahren für Personalsteuerung aussehen?

Lassen Sie uns auf das Phänomen „Stelle“ einen organisationstheoretischen Blick werfen: Stellen ermöglichen, die Ziele der Organisation zu erfüllen. Man kann sie sich wie einen Knotenpunkt im Unternehmen vorstellen: es treffen sich dort Strategie, Prozesse, Organisationsaufbau und Personal. Eine Stelle kann man in folgende Komponenten zerlegen:

  1. An Stellen werden Erwartungen geknüpft, den strategischen Zweck des Unternehmens bzw. eines Funktionsbereichs umzusetzen.
  2. Einer Stelle werden Aufgaben und Prozesse zugeordnet, mit denen beschrieben wird, wie Dinge zu bearbeiten sind.
  3. Im Organigramm wird festgelegt, mit welchen Kompetenzen und Befugnissen eine konkrete Stelle ausgestattet ist und welche Pflichten sie zu erfüllen hat. Gleichzeitig ist damit geklärt, wofür sie nicht zuständig ist. Außerdem wird mit einer Stelle festgelegt, wer mit wem über was sprechen darf und muss.
  4. Nicht zuletzt wird mit einer konkreten Personenauswahl für eine Stelle darüber entschieden, wem man zutraut, die gestellten Erwartungen heute, aber noch viel mehr in der Zukunft, zu erfüllen.

Die Funktion von Stellen in der Personalsteuerung

Eine Stelle kann man sich vorstellen wie ein Platzhalter für aktuelle und zukünftige Organsationsnotwendigkeiten: je nach Bedarf wird der Platz im Rahmen der Personalplanung mit einem bestimmten Zweck und mit entsprechenden Aufgaben verbunden, mit einer bestimmten Person besetzt oder an einem bestimmten Ort im Organigramm angesiedelt. Luhmann spricht auch von einer inhaltsleeren Identität, einer Leerstelle, die erstmal nur durch den Umfang einer Arbeitskraft und ggf. einem vorgesehenen Budget markiert ist (siehe Luhmann 2000, S. 237). Mittels Stellen werden verschiedene Anforderungen der Organisation koordiniert und reguliert. So erhält sie sich die nötige Flexibilität auf anstehende Veränderungen reagieren zu können.

Die Strategie der Organisation setzt meist den Rahmen, wie viele Stellen gebraucht und wohin sie verteilt werden. Manchmal ist es aber auch umgekehrt: man hat Personen, für die man die passenden Stellen schafft. Oder man hat nicht-verhandelbare Aufgaben, wie das Genehmigen von Bauanträgen oder die Produktion eines Informationsangebots wie der „Tagesschau“, die einschränken, was an sonstigen strategischen Angeboten entwickelt werden kann oder wohin Stellen verschoben werden können. Diese Anforderungen zusammenzubringen ist schon anspruchsvoll genug. Zusätzlich wird die Personalsteuerung von einer starken Dynamik beeinflusst: Mitarbeitende kommen und gehen, Schnittstellen werden neu organisiert oder Aufgaben umverteilt.

All diese Aktivitäten führen dazu, dass unerlässlich zu prüfen ist, ob dies Auswirkungen auf andere Stellen hat. Oder auch: was woanders geändert werden muss, wenn Stellen, aus welchen Gründen auch immer, nicht so funktionieren, wie es vorgesehen ist (Luhmann 2000, S. 327). Eine  gute Stellenplanung braucht also Flexibilität, um auf Änderungen an einer Stelle mit Änderungen an anderen Stellen reagieren zu können.

Die Organisationspraxis

Personalsteuerung ist auch Stellensteuerung - und erklärt das Gerangel um Stellen

Ändert ein Unternehmen seine Art der Personalsteuerung, ändert es auch automatisch den Status quo der Stellenverteilung und -besetzung! Dieser Eingriff ist gravierend für jeden Entscheider. Denn: jeder Status quo – ganz generell – gilt gewissermaßen als Pazifikationsformel der unterschiedlichen Interessen. Reformprojekte lösen diesen interessenspluralen Frieden wieder auf und revitalisieren die Differenzen (Luhmann 2000, S. 335). Die zuständigen Entscheider in diesem Unternehmen fangen plötzlich an ihre Bedarfe und Interessen zu formulieren. Sie fragen sich, ob sie genug Stellen haben, um strategisch wirksam mitgestalten zu können? Ob ihr Bereich gar relevanter ist als der Nachbarbereich? Ob die neuen regulativen Anforderungen nicht eine Stellenerhöhung im eigenen Bereich erforderlich machen? Ob sie genug Mitarbeitende haben, um die operative Arbeit gestemmt zu bekommen – heute, aber auch in 5 Jahren? Und die Entscheider werden sich fragen, ob sie wohl eine Stelle wieder „zurückbekommen“, die sie bereit wären „abzugeben“, oder ob sich nach einem Jahr keiner mehr an die gemeinsamen Absprachen erinnert?

Wer mitsteuern darf, wie viele Stellen es gibt, wie sie besetzt und verteilt werden, sichert sich Macht und Gestaltungspotential; wer gar mitentscheiden darf, wie zukünftig über Stellen und deren Besetzung entschieden wird, umso mehr. Wer die richtigen Stellen besitzt, kann wirksam werden; wer nicht, der nicht. So verwundert es kaum, dass die Entscheidung wie Stellen heute, aber auch zukünftig gesteuert werden, Entscheidungskonflikte auf den Plan rufen.

Kein Entscheider wird davon ausgehen, dass ein Stellenplan – wenn erst einmal beschlossen – für zwei bis drei Jahre stabil bleibt. Stattdessen wird er sich fragen, ob ein Beschluss, dem er heute zugestimmt hat (wie einem konkreten Plan, oder, noch viel weitreichender, einem Personalsteuerungsverfahren), morgen zu seinem Nachteil werden kann. Alle werden sich fragen, wie sie sich gegen eine unbekannte Zukunft absichern können oder – positiver formuliert – mitgestalten können. Im Zweifel geben alle an, ein paar Stellen mehr zu brauchen, als Rückversicherung für eine noch unbekannte Organisationsanforderungen in der Zukunft.

Vertrauen ist zentral für ein funktionierendes Personalsteuerungssystem

Je mehr die Entscheider allerdings einander vertrauen, je mehr Erfahrungen sie bereits gemacht haben, aufeinander zu zugehen, auch in schwierigen Zeiten, je mehr sie erlebt haben, wie sie gemeinsam Organisationsinteressen, Teaminteressen und auch eigene Interessen fair ausbalanciert haben, desto größer wird die Bereitschaft sein, sich auf ein Risiko einzulassen. Neben rein fachlichen Überlegungen spielen daher Aspekte des gegenseitigen Vertrauens eine nicht zu unterschätzende Rolle. Personalsteuerung ist auch ein soziales Geschehen!

Konkrete Ansätze für Personalsteuerung

Zurück zum Fall und der Frage, wie ein neues Personalsteuerungsverfahren entwickelt werden könnte:
Die Personalabteilung hat bereits einige Vorschläge gemacht, die allesamt auf Widerstand gestoßen sind. Weder ein Greenfieldansatz, noch good practises vergleichbarer Institutionen wurden als passend erlebt. Sogar ein hausintern entwickeltes Konzept wurde zwar ausprobiert, aber letztlich als zu aufwändig abgelehnt. Die Suche nach dem „großen Wurf“ hält daher an.

Welche Ansatzpunkte können wir uns vorstellen? Was sollte berücksichtigt werden?

  • Es gilt zu klären, wer aktuell Protagonist und wer Betroffener ist, und auch wer dies in Zukunft werden könnte. Die beiden Rollen können durchaus wechseln, umso mehr gilt es Vertrauen zu schaffen, dass die Spielregeln der Personalsteuerung auch längerfristig die Interessen beider Rollen balancieren. In der Zeit- und Sozialdimension spielt also die Musik. Jedes zu entwickelnde Personalsteuerungsverfahren muss dies reflektieren. Manch einer mag mit dem Wort „Interesse“ unvermittelt an persönliche Interessen und Karrierevorteile – insbesondere von Anderen – denken. Übersehen wird dabei, dass Interessen mehr sind als die Suche nach dem persönlichen Vorteil. Interessen im Organisationskontext manifestieren einen Bedarf, der für das Unternehmen strategisch relevant werden kann. Interessen hinterfragen oder stabilisieren den Status quo. In jedem Fall eröffnen kommunizierte Interessen durch Differenzen den Diskurs.
  • In der Sachdimension geht es um die Frage, wie die Organisation heute und in Zukunft ihren Daseinszweck bestmöglich erfüllen kann. Zwar kann keine eindeutige Antwort erwartet werden (die Zukunft ist immer ungewiss!), wohl aber eine gemeinsam verabschiedete Strategie und gemeinsam festgelegte Ziele, die mitberücksichtigen, an welchen Stellen die Organisation Flexibilität braucht.
  • Die Kernparadoxie zwischen genug Flexibilität und genug Planbarkeit/Struktur gilt es zu besprechen. Die bisherige Lösung (jeder Bereich besetzt seine Stellen selbst) muss gegebenenfalls neu ausgehandelt werden. Lösungsprobleme einer neuen Lösung sollten mitgedacht werden. Erwartbar sind zum Beispiel enttäuschte Erwartungen bei einigen Mitarbeitenden, die sich Karrierehoffnungen gemacht haben, die aufgrund eines neuen Personalsteuerungsverfahrens so nicht mehr eintreten werden.
  • Mittels Szenarien können potenzielle, unterschiedliche Zukünfte antizipiert werden. Die zu entwickelnden Szenarien sollten in folgende Kriterien variieren:
    • Zeitdimension (ein Szenario für die nächsten 1-2 Jahre, ein anderes für die nächsten 5 Jahre)
    • Primat Bereichsstrategien vs. Primat Gesamtstrategie
    • Schwerpunkt Selbstreferenz vs. Fremdreferenz. Wie stark müssen wir auf interne Belange eingehen? Wie stark auf externe Belange von Politik, Bürgern, gesellschaftlicher Entwicklung? Welche zukünftige Gegenwart und welche gegenwärtige Zukunft antizipieren wir?
    • Variabilität in den Entscheidungsprämissen: wo sehen wir in den nächsten Jahren den größten Spielraum? (zum Beispiel Anzahl an Neubesetzungen durch freiwerdende Stellen der Babyboomer-Generation)

Die Entwicklung gut unterscheidbarer Szenarien ist der Kern des Entscheidungsprozesses. Hier wird der Grundstein für den „großen Wurf“ gelegt. Vertrauen kann geschaffen werden, indem Szenarien diskutiert werden, die erstmal entkoppelt sind von der nachfolgenden Entscheidung. Zeit-, Sozial- und Sachdimension werden gemeinsam bearbeitet, und zwar vor folgendem

Hintergrund: Stellen sind der Knotenpunkt, an dem Entscheidungen über die Zukunft zusammenlaufen.

Was denken Sie dazu?

Falls Sie mehr zum Thema lernen wollen, empfehlen wir unser 2-tägiges Seminar Organisationsdesign.

Gerne können Sie auch persönlich mit uns Kontakt aufnehmen. Sabine Kröhn 0151-58494561.

Quellen: Luhmann, Niklas: Organisation und Entscheidung 2000, Westdeutscher Verlag