Rike Ullenbaum, Design Thinking Expertin bei PRAXISFELD, ist eine der vier Ausbilder*innen in der Weiterbildung zum Innovation Coach. Im Interview mit Janine Opalka erzählt sie, wie sie zu der Methode kam und welchen Wert Design Thinking für Unternehmen hat. Dabei nicht nur auf externe Fachkräfte zu setzen, sondern in die Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter zu investieren, hält sie für sehr wichtig.
Frau Ullenbaum, wie sind Sie zu Design Thinking gekommen und was überzeugt Sie an der Methode?
Ich habe die Methode ursprünglich innerhalb eines eintägigen Workshops kennengelernt. Ich war anfangs sehr skeptisch, was man mit der Methode erreichen kann. Vor allem bezweifelte ich, dass man am Ende des Tages einen Prototyp erhalten soll, der tatsächlich einen Wert hat. Das hatte ich vorher noch nicht erlebt, doch dieser eine Tag hat mich vollkommen von der Wirksamkeit der Methode überzeugt. Deswegen habe ich gesagt, ich möchte mich da weiterbilden und möchte das auch selber durchführen, um die Kraft dieser Methode einfach noch viel häufiger nutzen können.
Design Thinking bietet eine Weiterentwicklung in Richtung Kundenorientierung, in Richtung Offenheit für Probleme, Wünsche und Bedürfnisse des Nutzers und vor allem eine große Erweiterung der Innovationsmöglichkeiten. Wobei Innovation nicht heißen muss, etwas komplett Neues zu entwickeln, sondern man kann auch gezielt und geschickt Kombinationen von Bekanntem finden und angepasst auf die Bedürfnisse des Nutzers eingehen.
Wie unterscheidet sich diese Innovationsmethode von konventionellen Methoden?
Meine Erfahrung ist, dass bei der konventionellen Ideenfindung oft sehr lange diskutiert wird. Es gibt immer viele Meetings in denen nur gesprochen wird, ohne allerdings wirklich mal den Kunden zu fragen. Der zweite Nachteil, der oft entsteht, ist, dass per Definition oft der Chef die meisten Ideen hat und dementsprechend häufig andere vielversprechende Ideen nicht verfolgt werden. Und der dritte, wichtigste Aspekt ist, dass die meisten Unternehmen, die schon länger erfolgreich am Markt sind, zu Recht oft davon überzeugt sind, dass sie ihre Kunden sehr gut kennen. Sie glauben, sie wissen sowieso was ihr Kunde braucht. Und in Design Thinking Prozessen höre ich so oft erstaunte Auftraggeber, die sagen „Mensch, das ist ja mal ganz neu gedacht“ oder „Diese Erkenntnisse hatten wir noch nicht“.
Also leitet Design Thinking offene, agile Strukturen her?
Ja genau. Obwohl Design Thinking selbst ein extrem stark strukturierter Prozess ist, ist er aber gleichzeitig komplett ergebnisoffen. Es ist absolut vorhersehbar, dass etwas herauskommt und wann, denn die Uhrzeiten stehen fest, aber es ist völlig unvorhersehbar - meistens noch bis zum Ende der dritten Phase - was dabei herauskommt.
Wie kann diese agile Arbeitsweise in einem hierarchischen Unternehmen umgesetzt werden?
Bei der Arbeit mit der Methode ist es wichtig zu erkennen, dass es im Design Thinking keine Hierarchie gibt. Der Chef im Design Thinking ist eigentlich die Stoppuhr, die sagt, wann ein Arbeitsschritt beendet wird. Alle Teilnehmer müssen sich darauf einlassen, dass zu dem Zeitpunkt, wenn die Uhr klingelt, eben ein gewisses Ergebnis erarbeitet ist und besser wird dieses Ergebnis nicht mehr. Das ist es, was man aushalten muss. Die Hierarchie löst sich quasi im Tun auf. Dennoch ist es sehr wichtig, dass die Hierarchie in den Prozess involviert ist. Denn der Prozess muss mit Macht, Mitteln und auch Wille vorangetrieben werden und das hängt von den Führungskräften ab. Design Thinking selbst schlägt sich kaum mit Hierarchie herum, weil sie dort keine Rolle spielt. Aber um den Prozess überhaupt ins Leben zu rufen, kommt die Führung ins Spiel und versorgt den Prozess mit Energie.
Und an welche Grenzen stößt man mit Design Thinking?
Design Thinking ist nur dann sinnvoll, wenn ein Problem vorliegt, welches wirklich verzwickt ist, was keiner einfachen Lösung bedarf. So etwas erkennt man auch gut daran, wenn sich irgendwo ein Dilemma auftut. Da kann man oft mit Design Thinking gute Lösungen oder Wege finden. Also es muss ein komplexes Problem sein, andernfalls löst man es besser mit dem Taschenrechner als mit Design Thinking.
Das andere ist, es muss ein Business Need dahinterliegen. Beispielsweise eine Pipeline für Neuentwicklungen läuft leer, dies wird erkannt und bedeutet man braucht eine Neuentwicklung. Oder man merkt, dass ein Problem mit den Mitarbeitern besteht. Diese sind möglicherweise sehr unzufrieden. Man braucht neue HR- Produkte oder Führungstätigkeiten, um da auf einen besseren Weg miteinander zu kommen. All diese Dinge kann man mit Design Thinking entwickeln, bis hin zur Unternehmungsstrategie. Auch die kann mit Design Thinking Methoden erarbeitet werden, aber es muss ein gewisser Druck dahinterstecken. Sonst verschwinden gute Prototypen oft und verstauben in der Ecke.
Wie sieht Ihr Alltag als Design Thinking Coach konkret aus?
Mein Alltag als Design Thinking Coach hat mehrere Aspekte. Der wichtigste Teil, den ich im Vorfeld eines Projektes zu erledigen habe, sieht so aus, dass ich eine gute, auf den Punkt gebrachte Auftragsklärung machen muss. Das heißt, dass die Grundfragestellung vorbereitet werden muss. Manchmal findet das innerhalb des Prozesses statt, um Zeit und Ressourcen zu sparen, aber auch oft im Vorfeld mit dem Auftraggeber. Der Auftraggeber erzählt mir grob seine Probleme und seine Beobachtungen und wir formulieren daraus gemeinsam eine passende Fragestellung.
Im nächsten Schritt ist es wichtig, eine passende Prozessstruktur zu entwerfen, was die Häufigkeit und Dauer der Meetings und die Länge des Prozesses betrifft. Sie muss zum Auftraggeber passen. Vor allem zu seinen Ressourcen, sowohl personell als auch finanziell, als auch zum Zeitrahmen, den der Prozess für die neue Entwicklung einnehmen darf. Nach diesen Kriterien wird ein Prozess ausgelegt.
Der Prozess selber ist quasi ein Selbstläufer, wenn er mit den passenden Tools gefüllt ist und macht viel Spaß mit dem Auftraggeber und seinen Kunden. Da werden dann auch Interviews geführt. Sie bilden den größten Teil der inhaltlichen Arbeit. Nicht nur die Interviews zu führen, sondern diese auch gut vorzubereiten, um einen Mehrwert und Erkenntnisgewinn zu haben. Dann gilt es natürlich den Prozess anzuleiten, passende Prozessbeteiligte und passende Nutzer zu finden, die eingeladen werden und dann den Ablauf so zu strukturieren, dass er ein möglichst positives und vielseitiges Ergebnis hat. Mit dem dann der entsprechende Auftraggeber auch wirklich weiterarbeiten kann.
Warum bietet PRAXISFELD die Weiterbildung jetzt an, um weitere Coaches auszubilden?
Wir haben erkannt, dass in Unternehmen sehr viel Potenzial verloren geht und liegen bleibt. Es entsteht viel Frust durch ewig lange Diskussionen, Zeitverlust in der Neuentwicklung oder eben gar keiner Neuentwicklung. Es würde viele Arbeitsfelder in Unternehmen leichter und angenehmer machen - auch für die Mitarbeitenden - mit einer positiven Auswirkung auf das Jahresergebnis, wenn an manchen Stellen die Haltung des Design Thinking stärker getrieben würde.
Auch würden an vielen Stellen passendere Produkte entwickelt werden und dadurch weniger „Waste“ entstehen. Es würde Geld gespart werden, wenn ein Design Thinking Coach die Teams begleiten würde, der schnell reagiert und dazu ausgebildet ist, früh im Prozess zu erkennen, ob Ausschuss produziert wird, weil er die richtigen Fragen stellt.
Es können nicht alle Design Thinking Prozesse von externen Agenturen durchgeführt werden. Es wäre bei vielen Unternehmen sehr wertvoll, wenn sie selbst einen Design Thinking Experten haben. Der die Haltung und Denkweise versteht und der sein eigenes Unternehmen innovativer und auch digitaler machen könnte.
Welche Qualitäten sollte ein Design Thinking Coach mitbringen?
Das Wichtigste was ein Design Thinking Coach haben muss, ist Empathie. Das heißt die Fähigkeit, sich auf die Antworten des Kunden einzulassen und so genau hinzuhören, dass er Wiedersprüche oder Unstimmigkeiten heraushört. Er muss interessante Geschichten erkennen und verfolgen, um herauszufinden, wo es vielleicht mal hakt.
Und ganz wichtig ist ein Blick für Provisorien, überall im alltäglichen Leben. Es werden immer irgendwelche Provisorien benutzt, um das Leben zu erleichtern. Der Coach muss einen Blick dafür entwickeln, wo vielleicht auch der Kunde sich mit einem Provisorium hilft. Hier liegt ein großes Potential für Neuentwicklungen.
Neugier und die Gelassenheit sich auf einen Prozess einzulassen und den dann auch konsequent durchzuziehen, sollte ein Coach natürlich auch mitbringen.
Welche Vorerfahrungen sind nötig für die Weiterbildung zum Design Thinking Coach?
Man sollte mindestens einmal an einem Design Thinking Workshop teilgenommen haben, dazu reichen auch eintägige Veranstaltungen. Das ist eine Grundvoraussetzung, damit man den Ablauf im Design Thinking mit seinen sechs Phasen schon einmal kennengelernt hat und quasi am eigenen Leib erlebt hat.
Zukunftsorientiert! Was wünschen Sie sich für Design Thinking in der Zukunft?
Das es noch bekannter wird. Und das noch mehr Menschen den Wert von Design Thinking nutzen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Janine Opalka.