Innovation ist selten ein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis einer bestimmten Grundhaltung im Unternehmen, das Neues zulässt und sich selbst regelmäßig reflektiert. David Agert berichtet im Interview mit Bartosz Czaja, wie eine innovierende Organisation aktiv gestaltet werden kann.
Was beschäftigt die Kunden von PRAXISFELD im Alltag?
Die Zahl der Unternehmen und Organisation die in irgendeiner Form auf der Suche sind, wird immer größer. Und sie sind auf der Suche, weil die Lösungen aus der Vergangenheit nicht mehr funktionieren und sie nach neuen Rezepten suchen. Es entsteht immer mehr Bewegung in und um die Organisationen und letztendlich beschäftigt sie die Suche nach der Chance für die Zukunft. Es geht um das Überleben im digitalen Zeitalter.
Diese Suche nach der neuen Chance ist ja nicht neu. Bereits 1869 postulierte Charles Darwin, dass nicht das stärkste oder das schnellste Individuum überlebt, sondern dasjenige, das sich am besten an die veränderten Umweltbedingungen angepasst hat. Gilt das auch für Organisationen, die sich an die Herausforderungen der VUCA-Welt anpassen müssen?
Ja, ich glaube, das gilt nach wie vor und heute umso mehr, da die sichtbaren Zusammenhänge viel komplexer sind als früher und damit das Tempo und der Umfang der Veränderung höher. So sieht man ja, dass die Suche nach dem Überleben längst nicht nur mehr kleine Unternehmen oder Startups betrifft, die sich nach zwei Jahren Startup Phase überlegen, ob und wie es weiter gehen kann? Genauso groß ist die Frage heute für Konzerne, die vor einigen Jahren als unbesiegbar galten, man schaue nur mal in die Automobilindustrie oder die Energiewirtschaft oder die Telekommunikationsbranche. Und es geht nicht nur um klassische Wirtschaftsunternehmen. Auch andere gesellschaftliche Player wie z.B. die Kirchen stellen sich die Überlebensfrage mit einer deutlich stärkeren Relevanz als noch vor einigen Jahren.
Was hat das nun mit Innovation zu tun?
Das liegt ja auf der Hand. Die Antworten auf die Überlebensfrage oder die Frage nach der Daseinsberechtigung in der Zukunft lassen sich meist nicht in bestehenden Produkten oder Dienstleistungen finden, auch eine Weiterentwicklung reicht oft nicht aus. Echte Innovation ist da an vielen Stellen notwendig. Innovation umfasst dabei mehr als nur die Entwicklungsumsetzung neuer technischer Lösungen oder Produkte. Innovationen betreffen auch ganze Geschäftsmodelle und z.B. auch die Art der Zusammenarbeit und Kommunikation im Unternehmen selbst und zwischen Unternehmen und Kunden oder anderen Stakeholdern. Da brechen Grenzen komplett auf.
Neu ist auch, dass das kein Prozess ist, der einmal stattfindet und dann ist alles auch wieder stabilisiert. Dieser Innovationsprozess ist sozusagen unendlich – also wenn er erfolgreich ist. Früher haben wir gerne von einer innovierenden Organisation gesprochen, aber der Begriff hat sich nicht wirklich etabliert.
Was versteht man denn unter einer innovierenden Organisation?
Innovation beschäftigt sich ja ganz grundsätzlich immer mit der Frage, wie Neues in die Organisation kommt. Die innovierende Organisation ist nichts anderes als eine Organisation, die sich immer wieder und in Gänze reflektiert. Nicht nur bezogen auf „Sind unsere Produkte und Dienstleistungen noch die richtigen?“. Sondern auch „Ist unsere Art, unserer Entscheidungsfindung, unsere Zusammenarbeit passend?“. Da ist ein kontinuierlicher Reflexions- und Selbstbeobachtungsprozess im Alltag der Organisation integriert.
Das hat auch was von einer agilen Organisation, was heute ja eine vielfach strapazierte Bezeichnung ist.
Herr Agert, was Sie sagen, bedeutet ja, dass gegenwärtige Erfolge von Unternehmen kein Garant mehr für deren Erfolg und Existenz in der Zukunft sind. Wie kommt man dann zu Neuem in einer Organisation? Wie gestaltet man Innovation?
Da gibt es natürlich wie immer nicht die eine richtige Antwort bzw. den Trick, wie das gelingt. Ich denke, die Grundlage schafft eine Organisation dadurch, dass sie immer wieder ein Bewusstsein dafür schafft, dass die Lösungen von heute nicht für immer gelten werden. Das schafft überhaupt erst die Möglichkeit, sich mit Neuem zu beschäftigen und Neues in die Organisation hinein zu lassen. Das gelingt z.B. indem bewusst Störungen eingesetzt und zugelassen werden. Störungen durch Fragen, die der Chef stellt oder durch Fragen, die ein neuer Mitarbeiter ins Unternehmen bringt oder vielleicht sogar ein Praktikant. Diese Fragen ernst zu nehmen und somit die üblichen Routinen zu hinterfragen, das kann ein erster Schritt sein. Und das ist nur eine mögliche Form, Neues in die Organisation zu lassen.
Insgesamt geht es darum, dem Neuen einen angemessenen Stellenwert zu geben, auch wenn der Alltag natürlich weiter gehen muss. Z.B. kann es gut sein, nicht zu sagen, dass das Buch über eine neue Methode oder Technik ja eine nette Freizeitbeschäftigung ist, die aber nicht den Unternehmensalltag stören soll, sondern gerade zu fragen, welchen Einfluss diese Erkenntnisse auf das Unternehmen haben können und auch die Auseinandersetzung mit Neuem zu einem Teil der Arbeit zu machen. Lernen und Weiterdenken sollte einen hohen Wert haben, auch und gerade während der Arbeitszeit. Es gibt ja auch tatsächlich schon seit vielen Jahren manche „Klassiker“, gerade auch aus dem Beratungsbereich, die z.B. sagen, am Freitag könnt ihr alle machen was ihr wollt, euch also inspirieren lassen von Neuem und von Montag bis Donnerstag seid ihr in Kundenprojekten. Da kann man sagen, das sei abgedroschen, aber man kann es auch inhaltlich einordnen in die modernen Innovationsansätze, die gerade überall besprochen werden. Vermutlich ist es auch nach wie vor nicht falsch so etwas zu ermöglichen, aber es ist nur eine Lösung von ganz vielen. Es hat mit der Grundfrage zu tun, ob es eine Überzeugung in der Organisation gibt, dass das Neue oder die Innovation eben Raum und Settings braucht, die gestaltet werden müssen und dass Innovation kein Zufallsprodukt ist.
Innovationen entstehen erst dann, wenn einerseits diese Grundhaltung erarbeitet wird. Auf dieser Basis können dann andererseits moderne Ansätze wie Design Thinking genutzt werden, um strukturiert und aktiv an Innovationsthemen zu arbeiten, die dann z.B. in InnovationLabs, FutureRooms oder Zukunftsprojekte (wie auch immer man es in der jeweiligen Organisation nennen will) einen Platz zum Wachsen, Gedeihen und Erproben finden. Denn selbst wenn Innovationen von der Haltung her ermöglicht und vom Prozess her aktiv gestaltet werden, ist noch längst nicht gesagt, dass sie auch die Chance haben, eine Organisation nachhaltig zu verändern. Das bedarf oft zunächst einer Art Schonraum, da sonst der Fokus fast immer auf dem Alltagsgeschäft liegt und Innovationen verkümmern. Aber da schließt sich wieder Kreis: Eine dauerhafte Reflexion ist notwendig, um die Balance zwischen Alt und Neu zu ermöglichen.
Aber es gibt ja auch Beispiele für zufällige Innovationen, wie z.B. das Penicillin. Ist das nicht auch eine Chance nach dem Motto „Finding something good without looking for it“?
Ich glaube, es ist völlig richtig, Chancen und Erkenntnissen gegenüber offen zu sein, auch wenn man gerade nicht damit gerechnet hat. Das hat etwas mit Achtsamkeit zu tun. Und auch in strukturierten Innovationsprozessen braucht es diese offene Haltung und die Achtsamkeit und man weiß halt vorher nicht, was am Ende rauskommt. Trotzdem halte ich es für richtig, Innovationsprozesse auch aktiv zu strukturieren. Das schließt die Offentheit für Zufälle ja nicht aus. Um diese Prozesse geht es z.B. auch in unserem Innovationsseminar.
Gibt es sonst noch einen wichtigen Aspekt, der noch nicht zur Sprache gekommen ist?
Ja, was im Zusammenhang mit Innovation nicht zu vergessen ist, das ist der Blick nach außen. Es ist sehr wichtig, nicht nur innerhalb des Unternehmens neue Konstellationen zu finden und im Sinne von Innovation aus den Silos herauszukommen. Das ist nur ein Schritt. Auch die bewusstere Auseinandersetzung mit Kundenbedürfnissen ist ein guter Schritt. Aber es ist zusätzlich erforderlich, auf große gesellschaftliche und sonstige entstehende Trends in der Gesellschaft zu schauen und den möglichen Einfluss auf das eigene Geschäft zu betrachten. Das fördert auf jeden Fall Innovationschancen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Bartosz Czaja.