David Agert ist Mitglied der Geschäftsführung von PRAXISFELD und geht dem Begriff des Organisationsdesigns auf den Grund. Im Gespräch mit Seraphine Petersen veranschaulicht er, was eigentlich das „mehr“ ist, das Organisationsdesign umfasst und wann es sich lohnt, den Blick hinaus über die blanken Funktionsbereiche zu öffnen.
David, wie würdest du aus der Sicht von PRAXISFELD Organisationsdesign definieren? Was ist das und was ist das vielleicht auch nicht?
David Agert: Die pragmatischste Definition ist für mich tatsächlich, dass das Organisationsdesign beschreibt, wer in der Organisation in welcher Rolle und mit welchem Verantwortungsumfang mit wem spricht. Das ist vielleicht ein bisschen abstrakt gesprochen, aber das Organisationsdesign regelt letztendlich die Kommunikationswege und auch die Entscheidungswege in der Organisation. Die Zeitfrage, also wie lange gesprochen wird, kommt da unter Umständen noch hinzu, es hat insofern auch eine priorisierende Funktion. In der Praxis heißt das, dass ich als Organisationsdesign alles bezeichnen würde, was Strukturen, Prozesse, Steuerungsinstrumente und Ressourcenverteilung in der Organisation regelt und bestimmt.
Bei der Frage nach der Abgrenzung ergibt sich für mich auch eine abgrenzende Antwort. Allerdings weniger verstanden als „Was ist Organisationsdesign nicht?“, sondern „Was ist Organisationsdesign nicht nur?“.
Man denkt nämlich oft zuallererst an das Organigramm, an die Aufbaustruktur. Das ist natürlich nicht falsch, sie ist wesentlicher Bestandteil des Organisationsdesigns und damit sind bestimmte Vorentscheidungen schon mal getroffen. Mit dem Organigramm ist gesetzt, was ein primärer Kommunikationsstrang ist, deshalb spielt die Aufbauorganisation eine sehr wichtige Rolle – aber eben genauso die Prozesse, die eine größere Nähe zur Ablauforganisation haben. Prozesse einerseits im Hinblick darauf, wie Leistungen geniert werden, und andererseits auch Kommunikationsprozesse.
Für die Kommunikationsprozesse sind das zum Beispiel Meeting-Strukturen. Gerade damit gibt es ein Regulativ, um den Strukturen der Aufbauorganisation etwas entgegenzusetzen. Wenn man etwa eine klassisch-hierarchisch geprägte Aufbauorganisation hat, dann ist die primäre Kommunikationsrichtung vertikal, von unten nach oben. Die horizontale Kommunikation spielt aber auch eine sehr große Rolle, die kann in so einem Fall durch die Gestaltung der Kommunikationsprozesse aufgefangen werden. Das kann dann einzahlen in die Flexibilität, das Tempo bei Entscheidungen oder gute Entscheidungen, die nicht immer nur über die Spitze laufen müssen, wie es etwa bei der Reinform klassischer Organisationsmodelle der Fall wäre.
Also über starre Organigramme hinaus lässt sich das Organisationsdesign als eine Erweiterung verstehen, die die Kommunikationsprozesse oder das „Wie wird miteinander vernetzt?“ mit in den Blick nimmt?
David Agert: Ja, das würde ich schon sagen. Und das ist zum Teil auch eine Entwicklung aus den letzten zehn bis 15 Jahren. Ich glaube früher hat man das Wort „Organisationsdesign“ gar nicht genutzt, sondern hat vielleicht von „Organisationsstruktur“ gesprochen. Früher war das, was man gestaltet hat, das Organigramm und damit waren gleichzeitig die Entscheidungs- und Kommunikationswege gesetzt.
Mittlerweile ist die Haltung weit verbreitet, dass das alleine nicht mehr ausreicht, weil es Organisationen zwar effektiv, aber nicht flexibel und weiterentwicklungsfähig genug macht. Deshalb gibt es viele moderne Organisationsmodelle, die auch die anderen Dinge adressieren. Wenn ich von „den anderen Dingen“ spreche, habe ich immer unser Modell des Business Systems vor Augen, weil dieses Modell aus meiner Sicht im Außenkreis genau die Dinge darstellt, die das Organisationsdesign ausmachen.
Das Business System Canvas, das bei PRAXISFELD Beratungen zum Einsatz kommt.
Die klassischen Organisationsmodelle, wie die funktionale Organisation zum Beispiel, gucken vor allem auf die Struktur. Damit ist dann geklärt, wer die Verantwortung trägt, wie die Kommunikation läuft und wer die Entscheidungen trifft. Die Grundfragen sind damit gesetzt.
Es gibt moderne Organisationsmodelle, die auch viel mehr zu den anderen Punkten sagen und die einer Organisation fast so eine Art „Geschäftsordnung“ mit auf den Weg geben. Die regelt beispielsweise wie reflektiert wird, worauf in der Reflexion geschaut wird, wie Entscheidungen getroffen werden, wer entscheiden darf – dementsprechend ist das Spektrum der Themen groß, die im Organisationsdesign beschrieben sind. Die Themen haben eher zugenommen. Da geht es in moderneren Ansätzen deutlich über die Aufbaustruktur hinaus.
Was würdest du sagen, wozu braucht es eigentlich ein Organisationsdesign oder ein „gutes“ Organisationsdesign?
David Agert: Es geht nicht um die Frage, ob wir eins haben wollen oder nicht. Wenn es eine Organisation gibt, gibt es auch ein Organisationsdesign. Jemand hat diese Organisation mal aus einem bestimmten Zweck gegründet, dazu wurden Mitarbeiter*innen eingestellt und die Organisation ist gewachsen. Irgendwann haben sich Abteilungen und Zuständigkeiten ergeben, es gab neue Kundenwünsche und Ideen – es gibt immer ein Organisationsdesign.
Wenn man die Frage weiterdenkt: Ich glaube, es ist wichtig sich damit zu beschäftigen, weil das gewachsene Organisationsdesign zwar lange gut war, aber nicht unbedingt zu den Herausforderungen von heute oder morgen passen muss. In unserer Beratungsarbeit gehen wir nicht davon aus, dass es ein Organisationsdesign gibt, dass jetzt jede Organisation lernen muss. Das klingt vielleicht selbstverständlich, trotzdem finde ich es wichtig, das noch mal zu betonen. Es gibt keine Tendenzen, die für jede Organisation passen. Es gibt also nicht das Organisationsdesign als Antwort auf die Fragen aller Organisationen, man muss sich das sehr gezielt angucken.
Für viele Produktionsorganisationen, die geprägt sind von sich wiederholenden, komplizierten Problemen, sind agile Ansätze wahrscheinlich nicht die Antwort. Bei Aufgaben, die sich wiederholen und die immer gleich oder ähnlich zu lösen sind, ist man in den alten Mustern, wo es eher um Effizienz geht, gut aufgehoben.
Aber bei wechselnden und sich ständig verändernden Anforderungen braucht man eine andere Organisation - eine, die Zeit hat für Reflexion und Fragen wie „Sind wir noch auf dem richtigen Weg?“. Das ist im Vergleich möglicherweise weniger effizient, aber produziert am Ende die passendere Lösung für bestimmte Probleme. Nicht für alle, aber für bestimmte eben schon.
Mit deiner Beschreibung der Haltung bist du sogar schon nah an meiner nächsten Frage, die lautet nämlich: Was für einen Bezug setzt du zu PRAXISFELD bzw. wie gibt PRAXISFELD Anstöße zu einer guten Betrachtung oder Formung des Organisationsdesigns?
David Agert: Die Antwort liegt für mich vor allem darin, wie der Prozess gestaltet ist hin zu einem neuen oder veränderten Organisationsdesign. Das betrachten wir mit unserer systemischen Grundüberzeugung. Die beinhaltet auch, dass die Organisation sich selbst die Welt erklären und die Antworten geben muss, um zu eigenen Erkenntnissen zu kommen, die das Ganze am Ende wirksam werden lassen.
Unser Vorgehen sieht nicht so aus, dass wir Interviews in der Organisation führen, ein Gutachten über das Organisationsdesign der Zukunft erstellen und der Organisation dann sagen „Setze das jetzt bitte um“. Das klingt vielleicht ein bisschen wertend und soll nicht heißen, dass Ansätze dieser Art immer falsch sind. Ich glaube es braucht manchmal auch Impulse von außen, Dinge mal anders zu sehen, aber aus meiner Sicht reicht das nicht aus, damit die Organisation sich wirklich nachhaltig verändert.
Deshalb ist es für uns immer ein Prozess, den wir mit den relevanten Akteuren oder mit möglichst vielen Akteuren in der Organisation gehen und der beginnt mit der Frage „Wo wollt ihr strategisch hin?“. Daran schließt sich die Frage an „Was heißt das für die Organisation?“. Dabei schauen wir zuerst zurück, also auf das Erkennen der bisherigen Stärken und Schwächen, und blicken dann nach vorn: „Was braucht die Organisation in Zukunft mehr und was muss sie eventuell aufgeben von den Dingen, die sich in der Vergangenheit entwickelt haben, um die neuen strategischen Herausforderungen besser bewältigen zu können?“. So entstehen manchmal eindeutige Lösungen, manchmal unterschiedliche Szenarien, zwischen denen nochmal abgewogen werden muss, aber im Ergebnis eben das Bild einer neuen Organisation.
Das gilt es dann einerseits handwerklich umzusetzen, wenn zum Beispiel Abteilungen neu konstruiert werden, wenn Verantwortungen oder das Thema Führung neu aufgesetzt wird. Aber anderseits ist es natürlich ebenfalls eine kulturelle Arbeit. Mit allen Punkten, die die formale Seite des Organisationsdesigns angehen, hat man nicht so einfach die Kultur verändert.
Wenn die Idee für das Organisationsdesign steht, ist der zweite Teil der Umsetzung zu gucken, was das für die Ebene der Kultur in dieser Organisation heißt. Wir schauen, welche Themen zum Thema gemacht werden müssen, damit das, was in der Kultur gespeichert ist, in Zukunft auch zu dem passt, was die Antworten auf aktuelle Herausforderungen generiert und wie die Organisation dazu auf der formalen Ebene gestaltet werden kann.
Um neue Wege zu gehen, stellt für uns das Hinhören einen wichtigen Baustein für ein gemeinsam entwickeltes Organisationsdesign dar. Trotzdem glaube ich – und das prägt wiederum auch unsere Haltung – die Organisation kommt nur auf neue Ideen und Gedanken, wenn sie Möglichkeiten kennt. Damit sind wir bei der Frage nach Input, was Alternativen zu klassisch-bekannten oder gewachsenen Organisationsmodellen angeht und dort sehen wir durchaus unsere Rolle: Varianten und Möglichkeiten aufzuzeigen, mitzudenken, wie es sein könnte, aber der Organisation letztendlich nicht die Entscheidung abzunehmen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Seraphine Petersen.
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