Die Einführung organisationaler Lernprozesse mit dem Ziel, ein Unternehmen in eine lernende Organisation zu transformieren (siehe Teil 1 der Artikelserie), erfordert neue Betrachtungsweisen der Führungs- und Organisationskultur. Viele klassische Führungs- und Organisationstheorien, lang bewährte Praktiken und Konzepte der Vergangenheit sind angesichts der allgegenwärtigen Herausforderungen und gesamtgesellschaftlichen Veränderungen wie Digitalisierung, VUKA, Corona etc. unwirksam und weisen Verfallserscheinungen auf. In Anlehnung an den deutschen Soziologen Dirk Baecker und sein Werk „Postheroisches Management“ sprechen die Trend-Expert*innen Gebhardt, Hofmann und Roehl vom „Untergang der klassischen Führungskonzepte“.
Um organisationales Lernen in der Organisation zu implementieren, bedarf es dem Management-Experten Peter Senge zufolge einer lernförderlichen und offene Fehler- und Feedbackkultur sowie Führungskräften, die nicht mehr allein an den Rezepten und Erfolgen der vergangenen Tage festhalten, sondern die Mitarbeitenden als Lehrer*in, Designer*in und Stewards coachen und so die Selbstständigkeit und Verantwortung der Mitarbeitenden stärken. Das alte Dogma der Planung, Organisation und Kontrolle muss aufgegeben werden, um Lernumfelder zu schaffen, in denen die Weichen für Wandel, Veränderung und Neuausrichtung gelegt werden.
Dies ist jedoch ein Prozess, bei dem die Führungskräfte ihre Mitarbeitenden mobilisieren und auf diesem Weg mitnehmen müssen, um die Zukunft der Organisation zu sichern. Das ist von besonderer Bedeutung, da die Führungskraft auf das Wissen, die Erfahrungen sowie die Expertise der Mitarbeitenden angewiesen ist, um einen organisationalen Wandel und die digitale Transformation zu gestalten. Senge betont, dass die Aufgabe von Führungskräften in lernenden Organisationen insbesondere darin besteht, das Lernen zu kultivieren und eine Organisation zu entwickeln, in der die Mitglieder neue Fähigkeiten erlangen und neues Wissen generieren, „um komplexe Zusammenhänge zu begreifen, ihre Vision zu klären und ihre gemeinsamen mentalen Modelle zu verbessern“. Somit sind Führungskräfte für das Lernen und die Gestaltung von Lernmöglichkeiten und -räumen verantwortlich. Senge unterteilt die Rolle der Führungskräfte hierzu in die der Designer*in, Stewards und Lehrer*in.
Die Führungskraft als Designer*in
In der Betrachtungsweise der Führungskraft als Designer*in von Lernprozessen sind Führungskräfte für den Aufbau von Prozessen und Strukturen verantwortlich, um die fünf Lerndisziplinen nach Senge (Personal Mastery, Mentale Modelle, gemeinsame Vision, Team-Lernen, Systemdenken) zu vereinen und Synergieeffekte zwischen den Disziplinen zu ermöglichen. Als Designer*in liegt die Aufgabe der Führungskraft darin, die Vision und Mission der Organisation zu entwickeln und die dazu passenden Strategien, Systeme und Kommunikationskanäle zu bilden. Senge erklärt, dass die Designarbeit von Führungskräften im Hintergrund abläuft: „Die Folgen, die heute auftreten, sind das Ergebnis der Arbeit von gestern und die Früchte der Arbeit von heute wird man erst in ferner Zukunft ernten.“ Aus diesem Grund sind die Designarbeit und die ganzheitliche Betrachtung der Organisation als soziales System für die Führung einer lernenden Organisation bedeutsam. Bei dem Erstellen eines Designs für eine lernende Organisation und der Gestaltung von Entwicklungsräumen ist der Außenblick sowie die Reflexion der bestehenden Strukturen und Prozesse zentral, um zu überprüfen, ob die Organisation den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ansprüchen gerecht wird.
Die Führungskraft als Steward
Als Stewards liegt die Aufgabe der Führungskräfte darin, den Mitarbeitenden eine ganzheitliche Begründung zu bieten, „warum sie tun, was sie tun, warum ihre Organisationen sich entwickeln und warum diese Entwicklung Teil von etwas Größerem ist“. Zudem sollen Führungskräfte als Stewards die strategischen Ziele der Organisation sowie die Vision und Mission der Organisation nachvollziehbar übersetzen und mit den individuellen Zielen und mentalen Modellen der Mitarbeitenden synchronisieren und verbinden. In dieser Perspektive beschreibt Senge die Beziehung zu den Mitarbeitenden als die Übernahme von Verantwortung für die Mitarbeitenden, ohne einen Besitzanspruch auf sie zu erheben, und die Schaffung einer gemeinsamen Vision.
Die Führungskraft als Lehrer*in
Schließlich können Führungskräfte als Lehrer*innen betrachtet werden. Die Anforderung der Führungskräfte liegt hierbei weniger im Sinne einer klassischen asymmetrischen Führungsbeziehung in der Kontrolle der Mitarbeitenden, sondern darin, Mitarbeitende zu fördern, sich selbst und ihre Fertigkeiten weiter zu entwickeln und das Lernen zu begünstigen. Als Lehrer*in obliegt den Führungskräften die Verantwortung, die fünf Disziplinen der lernenden Organisation auf allen Ebenen einzuführen und in einer Vorbildrolle vorzuleben. Sie sind dafür zuständig, gleichberechtigt als Unterstützer*in, Problemlöser*in und Coach zu agieren und dadurch zu einem präziseren und aufschlussreicheren Bild der Realität zu verhelfen. Des Weiteren sollen Führungskräfte bei der Unsicherheitsbewältigung im Hinblick auf die Anforderungen der VUCA-Welt helfen. In der Betrachtung der Führungskraft als Lehrer*in ist die Führungskraft an der Entwicklungsorientierung der Mitarbeitenden interessiert und bietet die benötigte Unterstützung zum schnittstellenübergreifenden Arbeiten.
Die Führungskraft vereint damit auch die Eigenschaften eines Beraters und Coaches, die den Mitarbeitenden auch über die beruflichen Fragen hinaus z.B. bei Misserfolgen, persönlichen Konflikten oder bei schwierigen Entscheidungen beisteht.
Systemische Managementkompetenz als Schlüsselfähigkeit
Zusammenfassend liegen die Aufgaben der zukunftsfähigen Führung vor dem Hintergrund der Betrachtungsweisen der Führungskraft als Designer*in, Steward und Lehrer*in darin, die Kompetenzen der Mitarbeitenden über die Abteilungsgrenzen hinaus zu vernetzen sowie für Projekte Ressourcen zu organisieren und die multidisziplinären Teams zu coachen und dabei Selbstorganisation zuzulassen.
Um das volle Potenzial der Mitarbeitenden zu schöpfen, müssen alte Denkmuster aufgebrochen sowie Freiräume zum Lernen und zur Entwicklung gewährt werden. Des Weiteren betonen Gebhardt, Hofmann und Roehl die „Am-System-Kompetenz“, also die systemische Managementkompetenz, als besonders erfolgskritische Komponente für die Zukunftsfähigkeit einer Organisation. In der systemischen Betrachtung der Organisation als einen lebendigen Organismus müssen Führungskräfte in der Rolle eines Systemarchitekten das System sowie die Umweltfaktoren permanent auf die Entwicklungen überprüfen und mögliche Risiken und Chancen sowie Stärken und Schwächen ableiten, um als kollaborative Komplexitätsfilter geeignete Rahmenbedingungen für die Bewältigung der Herausforderungen der VUCA-Welt schaffen.
Autor: Bartosz Czaja
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Literatur:
Doppler, Klaus/Lauterburg, Christoph (2000): Change Management. Den Unternehmens-wandel gestalten. 9. Auflage. Frankfurt/New York: Campus.
Evenett, Simon/Höflinger, Ralph/Kammerlander, Nadine/Böhm, Stephan/Hieronymi, Andreas (2015): Qualifizierung für die VUCA-Welt. Ein Fachgespräch über Managementbildung in turbulenten Zeiten. In: OrganisationsEntwicklung. Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Changemanagement. Ausgabe 04/2015. Düsseldorf: Handelsblatt Fachmedien. S. 15-20.
Gebhardt, Birgit/Hofmann, Josephine/Roehl, Heiko (2015): Zukunftsfähige Führung. Die Gestaltung von Führungskompetenzen- und systemen. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
Senge, Peter Michael (1996): Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. Stuttgart: Klett-Cotta.