Führung als Funktion: Balancieren von Interessen 2/6

23.10.2023

Was wäre, wenn man Führung als Funktion denken würde, statt ausschließlich als Aufgabe von Führungskräften?

Organisationen sind permanent mit der Frage beschäftigt, WIE sie sich am besten organisieren, um dem Interesse ihrer Organisation UND ihrer Mitglieder bestmöglich gerecht werden. Die Organisationsinteressen sind vielfältig, noch vielfältiger sind die Interessen ihrer Mitglieder. Das führt unausweichlich zu Konflikten. Die Führungsfunktion (2) "Balancieren von Interessen" sorgt dafür, dass zwischen der Organisation und den Mitgliedern, aber auch unter den Mitgliedern selbst ein Interessensausgleich stattfinden kann.

Führungskräfte organisieren täglich Interessensausgleiche. Zum Beispiel fordert die Führungskraft Überstunden ein, damit ein wichtiges Projekt fertig wird, und macht gleichzeitig großzügige Zugeständnisse beim Überstundenausgleich (Organisationsinteresse vs. Mitarbeiterinteresse). Auch zwischen Mitgliederinteressen wird balanciert: alle müssen mal die unbeliebte Weihnachtsschicht übernehmen oder den besten Mitarbeiter „ausleihen“.

Wer oder was übernimmt diese Funktion des Balancierens, wenn Organisationen weniger Führungskräfte haben stattdessen mehr selbstorganisierte Teams oder flachere Hierarchien? Wie wirkt sich die Erstarkung der Verhandlungsmacht von Arbeitnehmern auf das Balancieren aus?

In unserer Beratungspraxis beobachten wir unter anderem:

  • Mitarbeitenden werden mehr Interessen zugestanden, z.B. flexiblere Arbeitszeitgestaltung, bessere Weiterbildungsangebote, höhere Gehälter sind selbstredend; andererseits werden vom Arbeitgeber mehr Bedingungen daran gekoppelt z.B. die Verpflichtung 5 Jahre in diesem Bereich des Unternehmens zu bleiben.
  • Mehr Konflikte entstehen unter den Teammitgliedern um die „richtige“ Lösung, um mehr Einfluss, um mehr Ressourcen, und zwar in den Situationen, wo Führung nicht eindeutig geregelt ist.
  • Der Faktor Zeit wird anders beobachtet. Für die sachlichen Fragestellungen plant man weniger Zeit, für die sozialen Themen mehr Zeit ein.
  • Organisationen bieten ihren Mitgliedern mehr Möglichkeiten der individuellen Mit- und Selbstgestaltung. Mitarbeitende erleben selbst wie ambivalent, wie paradox Entscheiden ist.
    Sie sind „plötzlich“ in der Rolle, andere Interessen mit den ihrigen zu balancieren (und nicht nur das eigene Interesse zu vertreten). Das Verständnis für die paradoxe Aufgabe des Führens und Entscheidens wächst, insbesondere bei Mitgliedern, die keine formale Führungsrolle haben.

Wie wird in Ihrem Unternehmen diese Funktion organisiert, wenn neue Formen des Arbeitens entwickelt werden?

Hier geht es zu den weiteren Teilen dieser Artikelserie: Führung als Funktion: Schutz bieten als Vorgesetzter 3/6