Sinn ist aus systemischer Sicht keine statische, moralische Kategorie der Frage nach richtig und falsch oder gut und böse, sondern nach Luhmann ist Sinn immer wieder beweglich und wird vom sozialen System in einem Sensemakingprozess konstruiert.
Sprachexperten reiten gerne darauf herum, dass der aus dem englischen abgeleitete Begriff etwas macht Sinn (von makes sense), nicht korrekt ist und im deutschen Sprachgebrauch lauten muss, etwas hat oder ergibt Sinn. Nach der Definition von Luhmann erscheint der Terminus Sinn machen aber doch sehr treffend, denn Sinn entsteht dann, wenn die Akteure einer Organisation es schaffen, zu einer bestimmten Tätigkeit oder Entwicklung Sinn zu konstruieren.
In unserer Beratungsarbeit fällt hierzu häufig der Begriff Collective Sensemaking, angelehnt an Karl Weick, und er beschreibt genau diesen Prozess, den auch Luhmann meint, wenn er von Sinn spricht: Ein soziales System entsteht aus der Kommunikation zwischen den Akteuren und in dieser Kommunikation wird Sinn konstruiert oder auch dekonstruiert. Was eine Organisation daher als sinnvoll oder nicht sinnvoll erachtet, ist also völlig losgelöst von abstrakten Kategorien, aber auch von der Wahrnehmung, ob etwas für mich persönlich als sinnerfüllend empfunden wird.
Dauer: 1:14 Std.
Was sind Sensemakingprozesse?
Sensemakingprozesse finden durch die Kommunikation in Organisationen unbewusst ständig statt. Durch systemische Beratung versuchen wir den Blick dafür zu schärfen und helfen einer Organisation dabei, einen Schritt zurückzutreten, diese Kommunikation und Prozesse bewusst wahrzunehmen und mehr zu sehen als vorher. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, andere Dinge und Handlungen als bisher mit Sinn zu belegen. Das ist gar nicht so einfach, denn der natürliche Mechanismus eines (sozialen) Systems ist es, Störungen von außen abzuwehren und den Ist-Zustand am Leben zu erhalten. Dieser Mechanismus wird dann zur Gefahr, wenn sich Änderungen in der Umwelt und im Marktgeschehen ergeben, bei denen ein Weiter wie bisher nicht mehr zum gewünschten Erfolg führt, also entsprechend keinen Sinn mehr ergibt.
Beratung kann hier immer nur ein Angebot sein, den Blick zu weiten und mehr zu sehen. Was die Organisation letztlich an Änderungsgedanken rein- und zulässt, entscheidet sie immer selbst. Wenn die Organisation den Blick aber weitet und die antiintuitive Brille aufsetzt, kann sie erkennen, dass das bisherige Handeln keinen Sinn mehr ergibt und Anpassungsbedarf nötig ist. Das Handeln kann geändert und neue Tätigkeiten mit Sinn belegt werden. Der Sensemakingprozess wird so bewusst gesteuert.
Zu der zehnten Folge unserer Podcastreihe haben sich wieder Holger Schlichting und David Agert zusammengefunden mit Martin Mayer und Tobias Dehler. Wir wünschen viele Erkenntnisse beim Zuhören.
Und als Ankündigung für die nächste Folge sei hier schon mal so viel verraten: Um dieses doch recht abstrakte Thema SINN noch greifbarer zu machen, werden wir in der nächsten Folge das Thema Leitdifferenzen aufgreifen. Jede Organisation hat eine übergeordnete Leitdifferenz, nach der sie ihr Handeln ausrichtet und entsprechend einen Sinn zugesteht. In wirtschaftlichen Organisationen ist das die Frage nach zahlungsfähig (Geld) oder nicht zahlungsfähig (kein Geld), bei Organisationen z.B. aus der Sozialwirtschaft zusätzlich auch die Frage nach hilfreich oder nicht hilfreich. Ihr könnt gespannt sein. Die nächste Folge erscheint Anfang September, wenn alle Akteure aus dem Urlaub zurück sind.
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