Weg von „Weil wir es immer schon so machen!“, um in der Krise handlungsfähig zu bleiben
Prozessoptimierung ist sicher nicht das zentralste Handwerkszeug einer systemischen Beraterin. Aber außer Acht lassen sollten wir es in unserem Handlungsfeld (wie all die anderen Faktoren, die Einfluss auf das System haben) auch nicht.
Besonders in einer Zeit, in der sich eine Organisation in einer kritischen Situation befindet, kann ein Blick auf die Prozesse enormes Potenzial aufzeigen. Potenzial im Hinblick auf gesparte Zeit, gesteigerte Qualität, passenderen Kundenkontakt, höhere Mitarbeiterzufriedenheit, schnellere Einarbeitung und noch vieles mehr. Nicht umsonst sind die Prozesse eins der 5 Elemente auf unserem Business System Canvas.
Wir haben bei PRAXISFELD eine Art systemischer Prozessarbeit mit unseren Kunden etabliert. Der wichtigste Aspekt der Vorgehensweise ist dabei die richtigen Personen zusammen zu bringen und die Prozesse gemeinsam zu beleuchten. Das Prozess-Review sollte an einem Ablauf durchgespielt werden, der so in der kürzeren Vergangenheit tatsächlich stattgefunden hat. Also ein Vorgang, der -wenn möglich- noch nicht ganz abgeschlossen ist, aber so oder ähnlich häufig stattfindet. Das kann zum Beispiel ein Bestellvorgang, ein bearbeitetes Ticket, ein Schritt in einem Produktionsprozess oder auch eine Marketing-Aktion sein. Sogar Einstellungs- oder Buchhaltungsprozesse lassen sich gut untersuchen, dem Betrachtungsbereich ist keine Grenze gesetzt.
Das Team, welches den Prozess untersucht sollte direkt an diesem beteiligt gewesen sein. Über Abteilungsgrenzen hinweg unter Beteiligung der Schnittstellen ist es sinnvoll mit 5 bis 6 Personen den Vorgang sehr kleinschrittig aufzuschreiben. Ob das mit Post it’s an einer Pinnwand oder auf einem digitalen Whiteboard entsteht, ist völlig egal, Hauptsache die Schritte sind beweglich angeordnet. Denn… es wird nach meiner Erfahrung immer was vergessen. Viel! Wenn die Teams nach einer Weile sagen: Wir sind fertig, sind da im Schnitt ca. 20 Zettel. Wenn wir wirklich jeden Prozessschritt, jedes Telefonat, jede Schnittstelle, jede Urlaubsvertretungsübergabe, jede Rückfrage, … haben, dann sind es mindestens dreimal so viele Zettel. Warum brauchen wir das?
Weil wir nur so herausfinden, wo die Flaschenhälse sind und wo Prozessschritte eingespart werden können, weil sie historisch gewachsen sind und inzwischen sinnvoll geändert werden können. Weil nur so der Raum entsteht die Frage zu stellen: Warum machen wir das nochmal so?
In der Krise ist es aus zwei Gründen sinnvoll auf die Prozesse zu schauen:
Die Organisation beobachtet sich zu einem selbst und kann blindem Aktionismus entgegenwirken, der Raum sich selbst zu hinterfragen wird gelenkt genutzt, um passend auf die Bedrohungen aus dem Markt zu reagieren. Zum anderen wird jeder Weg genutzt, um Zeit und Geld zu sparen und nicht nur passender sondern auch schneller auf geänderte Anforderungen von außen einzugehen. Die Motivation genau das zu tun ist bei einer realen Bedrohung viel höher als in Zeiten, in denen es grade super läuft. Denn die wenigsten verlassen gerne die Komfortzone ohne den Druck der Notwendigkeit, oder den drängenden Business Need.
Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Der Vertrieb erzeugt jeden Dienstag eine Liste aus dem EDV-System, schickt sie an das Marketing, hier wird die Liste möglichste zeitnah bearbeitet, um daraus Arbeitsaufträge an Dritte weiterzugeben. Sie werden ähnliches aus ihrer Arbeitspraxis sicher kennen. Warum zieht sich das Marketing die Liste nicht selbst? Das tun sie durchaus, wenn sie es nicht zeitnah schaffen und die Liste inzwischen veraltet ist. Also warum nicht gleich? … Keine Ahnung… Das ändern wir wohl mal. Und nun muss man aufpassen: Das regelmäßige Abrufen der Liste war in im Vertrieb etabliert, obwohl dort nichts (!) mit den Informationen gemacht wird. Nun muss das Marketing eine Regelmäßigkeit sicherstellen und einen Prozess dafür schaffen. Aber jede eingesparte Schnittstelle ist eingesparte Zeit! Hier sind nur 1-2 Minuten eingespart, aber in dem Prozess haben wir 17 solche unnötigen Schnittstellen (mal aufwändiger, mal weniger) identifiziert. Das waren in diesem konkreten Fall abgerundet 45 eingesparte Minuten pro Woche, die wir nur bei einem einzigen Bestellvorgang identifiziert haben. Darüber hinaus haben wir auch herausgefunden, dass der Kunde jeweils 3 verschiedene Mails nach dem Bestelleingang erhält. Wir haben das ebenfalls schlanker gestaltet und höhere Kundenzufriedenheit erreicht.
Wie kann man solche „Kleinigkeiten“ finden?
Indem der Austausch zwischen den Schnittstellen passend initiiert und organisiert wird, und sie nicht dauerhaft als „Kleinigkeiten“ abgetan werden. Durch eine Prozessoptimierung entsteht die dauerhafte Erlaubnis unsinnige Arbeitsschritte zu hinterfragen und den Pfad des „weil wir es immer schon so gemacht haben“ zu verlassen. Eine Kultur der ständigen Optimierung entsteht damit von ganz allein.