Steuerung in eine unbekannte Zukunft

14.01.2022

Wer sich mit der Systemtheorie beschäftigt und mit sozialen Systemen arbeitet, weiß um die Herausforderungen der (Un-)Planbarkeit der Zukunft. Jede Intervention kann zu unvorhergesehenen Ergebnissen führen. Gleichzeitig bedarf es einer Steuerung, um Systeme stabil zu halten. Auch ist bei vielen Menschen der Wunsch nach Planbarkeit und Sicherheit sehr hoch und wird, wie derzeit in der Pandemie, entsprechend von der Politik eingefordert.

Niklas Luhmann, der bedeutsamste Theoretiker der neueren Systemtheorie, beschreibt sehr eindrücklich, wie unmöglich eine Steuerung eines Systems hin auf eine vorher genau festgelegte Zukunft ist. Zwar agiert Steuerung zukunftsorientiert, sie kann aber nicht den zukünftigen Gesamtzustand festlegen. Vielmehr reagieren Systeme auf Steuerungsimpulse mit sogenannten transjunktionalen Operationen, heißt es entstehen neue Konditionierungen und Abhängigkeiten im System.

In seinem Buch „Die Kontrolle der Intransparenz“ illustriert Luhmann das unter anderem am Beispiel Impfungen:

“Durch Impfungen verringert sich die Wahrscheinlichkeit bestimmter Krankheiten”, aber es entstehen auch transjunktionale Operationen: „Impfungen werfen Rechtsfragen auf (Impfpflicht, Haftung für Schäden), […]. Steuerung wirkt also immer auch als Konditionierung dessen, was im System sonst noch geschieht.”(1)

Für die politische Kommunikation ein Dilemma: auf der einen Seite wird von ihr erwartet, dass sie heute einen zukünftigen Gesamtzustand ansteuert und auch dort ankommt, andererseits ist klar, dass jede Intervention ins System neue Konditionierungen hervorbringt, die sich auf die Erreichung des zukünftigen Gesamtzustands auswirken. Nur unklar bleibt zum Zeitpunkt des Entscheidens, ob näher oder weiter weg vom ursprünglich gedachten Gesamtzustand.

“Die Zukunft wird also nicht als Endzustand (télos) in das System eingeführt und auch nicht als Entscheidungsbaum, dessen Struktur man überblicken könnte, wenn man an den Knotenpunkten Entscheidungen trifft. Nur Differenzen (und es können mehrere zugleich sein) werden projektiert, und das heißt: […] Die als Zwecke fungierenden Differenzen können von Situation zu Situation neu vermessen werden, es kann zu Schwerpunktverschiebungen vom Zweck auf die Mittel kommen, aber auch Zwecke können ihren Wert verlieren oder sich als unerreichbar erweisen. […] Die wichtigste Planungsressource, die die Zukunft zur Verfügung stellt, ist ihr Unbekanntsein. Nur deshalb kann man sich überhaupt mehrere mögliche Verläufe vorstellen und für einen von ihnen optieren.”(1)

Nicht für jeden eine leicht auszuhaltende Perspektive. Vor allem nicht, wenn man eindeutige Antworten und Sicherheit erwartet.

Autorin: Sabine Kröhn

Dieser Text erschien zuerst in einer kürzeren Version im persönlichen LinkedIn-Profil von Sabine Kröhn und hat dort eine rege Diskussion angeregt: Zum Original-Beitrag

Literatur: (1) Luhmann, Niklas (2017): Die Kontrolle der Intransparenz, S. 116/117

 

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