Warum organisationale Resilienz?

02.07.2024

Warum organisationale Resilienz?

Der Begriff der Resilienz ist vielfältig belegt. Es soll hier dargestellt werden, dass ein systematischer Einbezug von Resilienz-Konzepten für die Führung von Organisationen sehr gewinnbringend ist. Es geht darum, dass Organisationen langfristig im Spiel bleiben, oder, besser noch, das Spiel gewinnen. Es soll aber auch deutlich werden, dass absolute Resilienz genauso wenig wie absolute Sicherheit oder absolute Gesundheit klar zu definieren geschweige denn zu erreichen ist. Um so wichtiger ist es, die zentralen Bestandteile des Konzeptes zu kennen.

Sehr interdisziplinär

Der Ursprung des Wortes lässt sich aus dem lateinischen resilire für “zurückspringen”, “abprallen”, “nicht anhaften” ableiten. Der Begriff wird heute vielfältig genutzt und ähnlich wie das Wort Agilität sowohl sehr spezifisch als auch umgangssprachlich eingesetzt. Das macht es nicht leichter, ihn zu fassen zu bekommen. Wie bei fast allen “neuen” Ausdrücken kann man sich wahlweise dafür entscheiden, den Begriff als “Mode” zu diskreditieren oder nach dem Kern des Bedarfs zu suchen, der offensichtlich zu einer vermehrten Nutzung und somit Aufmerksamkeit geführt hat. Aber zunächst einmal zur unterschiedlichen und dann doch wieder teilweise gemeinsamen Begriffsverwendung. In der Materialkunde spricht man von der Rücksprungkraft eines Werkstoffes, nachdem er extremen Spannungen ausgesetzt war, in den Ingenieurswissenschaften ganz generell von der Fähigkeit eines technischen Systems, bei Störungen nicht vollständig zu versagen.

Psychologische und soziologische Ansätze nutzen den Begriff schon seit den 60er Jahren für die Beschreibung eines Bündels an Fähigkeiten, um unter ungünstigen Einflüssen als Individuum nicht nur “zu überleben” oder sich anzupassen, sondern sich auch aus eigener Kraft positiv weiterzuentwickeln. Wegbereitend waren z.B. Aaron Antonovskys Arbeiten zur Salutogenese, in denen er unter anderem nach Erklärungen dafür suchte, dass viele Menschen, die Konzentrationslager überlebt hatten, dennoch später in einer gesunden seelischen Verfassung waren.
In der Ökologie hat sich mit C.S. Holling ein Verständnis der Resilienz von Populationen durchgesetzt, das zeigt, dass stabile Gleichgewichtszustände die Überlebensfähigkeit eher gefährden, während Instabilität in der Regel mit hoher Belastbarkeit verbunden ist.

Holling hat seinen Forschungen über die Schwankungen und das Aussterben von Arten auch auf Organisationen übertragen und hat so bereits in den 70er Jahren dem Verständnis der organisationalen Resilienz den Weg bereitet. Im folgenden Zitat sind schon viele Elemente enthalten, die heutige Resilienz-Strategien ausmachen.

“Ein auf Resilienz basierender Managementansatz würde dagegen die Notwendigkeit betonen, sich Optionen offen zu halten, Ereignisse in einem regionalen und nicht in einem lokalen Kontext zu betrachten und Heterogenität zu betonen. Daraus ergäbe sich nicht die Annahme ausreichenden Wissens, sondern die Anerkennung unserer Unwissenheit; nicht die Annahme, dass zukünftige Ereignisse erwartet werden, sondern dass sie unerwartet sein werden. Der Resilienzrahmen kann diese Verschiebung der Perspektive berücksichtigen, denn er erfordert keine präzise Fähigkeit zur Vorhersage der Zukunft, sondern nur eine qualitative Fähigkeit zur Entwicklung von Systemen, die künftige Ereignisse – in welcher unerwarteten Form auch immer – aufnehmen und bewältigen können.”1

Die Grundfigur für organisationale Resilienz ist gesetzt

Holling hat damit Anfang der 70er im Grunde schon alles Wesentliche gesagt. Es war nur noch nicht so wichtig, zuzuhören. Anfang der 90er Jahre glaubten viele Menschen, dass mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Auflösung des Warschauer Paktes eine Phase der Stabilität anbrechen würde. Gleichzeitig ersannen aber weniger optimistische amerikanische Militärs das Akronym VUCA2 als Bezeichnung für einen volatile, unsichere, komplexe und mehrdeutige Welt. Diese vorausgedachte, sich in den nächsten Jahrzehnten weiter steigernde Intransparenz und Instabilität brauchte noch eine Zeit, um sich weiter zu entfalten. Heute ist das Gefühl der Atemlosigkeit allgegenwärtig, so dass sich die Beschäftigung mit den Lehren, die die Wissenschaft schon früh aus der Resilienzforschung gezogen hat, immer mehr auch für das Business und generell alle Arten von Organisationen lohnt.

Verkürzte Vorwarnzeit, aber dafür mehr und extremere Störfälle

Die beiden Hauptgründe, warum die Führungsebenen von Organisationen sich vermehrt mit Strategien und Konzepten organisationaler Resilienz auseinandersetzen, ist zum einen, dass das Zeitfenster, in dem ein struktureller Wandel erfolgt, immer kleiner wird und sich damit die Notwendigkeit zur Veränderung oft erst dann erkennen lässt, wenn man zwar genug Informationen hat, es dann aber zu spät ist. Der andere Grund ist, dass aufgrund der hohen Abhängigkeiten und Instabilitäten überraschende Krisensituationen an Häufigkeit und Stärke zugenommen haben, man sich also je nach Branche in einem permanenten Ausnahmezustand befindet.

Kernkompetenz “Beobachtung 2. Ordnung”

Wenn immer mehr businesskritische Teile der Zukunft nicht planbar sind, verschiebt sich der Fokus von der Planung und Steuerung der Organisation in der Gegenwart zu einer Führung der Organisation von der Zukunft her. Dafür braucht es eine geschärfte Fähigkeit zu Beobachtung sowohl der Umwelt als auch des eigenen Impacts. Denn wenn Planungs- und Operationsroutinen nicht ausreichen, ist es wichtig, sich selbst dabei zu beobachten, welche blinden Flecke man durch diese Routinen “automatisch” (!) erzeugt.
Dieses Beobachten, wie man seine Umwelt, zwangsläufig einseitig, beobachtet, ist eine zentrale Kompetenz in einer instabilen, hyperkomplexen Organisationsumwelt. Denn nur so kann man leicht genug auf andere Beobachtungen umstellen, die neue Chancen oder bisher unbekannte Bedrohungen sehen können.

The “unkown unknown”

Aus einer stark gesteigerten Unberechenbarkeit der Zukunft ergibt sich die Paradoxie, etwas zu antizipieren, was nur begrenzt antizipierbar ist!
Denn organisationale Resilienz wird nicht nur definiert als die Fähigkeit einer Organisation, Krisen standzuhalten und sich so anzupassen, dass ein Fortbestand möglich ist und sich idealerweise auch Entwicklungschancen nutzen lassen, sondern auch, sie vorauszudenken. Das aber kostet Zeit und Geld; es braucht sowohl die Energie und Initiative für die Vorausschau als auch den Mut zur Lücke.

Gab es das alles nicht schon immer?

Für das Management von Organisationen stellt sich seit je her bei massiven Veränderungen z.B. im Bereich von Technologien oder Kundenverhalten die Frage, ob diese Entwicklungen auch eine veränderte Art der Unternehmensführung, angepasste Strategien und andere Organisationsdesigns und anders geschultes Personal zur Folge haben sollen. Resilienz als die Kapazität einer Organisation, Gefährdungen und Chancen rechtzeitig zu vergegenwärtigen und damit umzugehen ist in jeder Organisation vorhanden. Mehr oder weniger. Nur eben oft nicht mit der Konsequenz und dem Aufwand, wie es heute erforderlich zu sein scheint. Der relevante Unterschied liegt also nicht zwischen ganz oder gar nicht, sondern zwischen implizit und aus dem Bauch (was gut sein kann) und explizit und strategisch. Ganz resilient geht auch gar nicht. Das ist eine zentrale These des Artikels.

Was umfasst organisationale Resilienz alles?

Es handelt sich um ein dynamisches Zusammenspiel verschiedener, sich teilweise gegenseitig ausschließender Faktoren. Auch hier findet sich eine Parallele in der ökologischen Forschung von Professor Holling: „Es ist, als ob zwei getrennte Zielsetzungen angewandt werden, jedoch nacheinander. Die erste maximiert Produktion und Akkumulation; die zweite maximiert Erfindung und Neuordnung. Die beiden Zielsetzungen können nicht gleichzeitig maximiert werden, sondern treten nur nacheinander auf. Und der Erfolg bei der Erreichung eines Ziels schafft unaufhaltsam die Voraussetzungen für sein Gegenteil. Der adaptive Kreislauf umfasst daher zwei Gegensätze: Wachstum und Stabilität einerseits, Veränderung und Vielfalt andererseits.“3

Die Normung des nicht zu normenden

Einen sehr breiten und scheinbar widerspruchsfreien Blick auf das Thema bietet seit 2017 eine ISO-Norm für organisationale Resilienz4. In dieser finden sich neun „Attribute“ wieder, die als zielführend für organisationale Resilienz angesehen werden:
1.    Gemeinsame Vision und Klarheit der Ziele
2.    Verstehen und Beeinflussen des Kontextes
3.    Wirksame und befähigende Führung
4.    Eine Kultur, die die Resilienz der Organisation fördert
5.    Gemeinsame Informationen und Wissen
6.    Verfügbarkeit von Ressourcen
7.    Entwicklung und Koordinierung von Managementdisziplinen
8.    Unterstützung der kontinuierlichen Verbesserung
9.    Fähigkeit, Veränderungen zu antizipieren und zu bewältigen

In der ISO wird neben einer kurzen Ausführung der Attribute und Prinzipien in einem Anhang auf 20 Managementdisziplinen verwiesen, die einen Beitrag zur organisationalen Resilienz haben können: Asset Management; Business Continuity-Management;Krisenmanagement; Cybersicherheitsmanagement; Kommunikationsmanagement; Notfallmanagement; Umweltmanagement; Gebäudemanagement; Finanzkontrolle; Betrugsbekämpfung; Governance; Gesundheits- und Sicherheits-Management; Verwaltung der Humanressourcen; Management der Informationssicherheit; Information, Kommunikation und Technologie; Management der physischen Sicherheit; Qualitätsmanagement; Risikomanagement; Management der Lieferkette; strategische Planung.

In der Einleitung der Norm steht:
„Organisationale Resilienz ist die Fähigkeit einer Organisation, ein sich wandelndes Umfeld zu absorbieren und sich anzupassen, um ihre Ziele zu erreichen und zu überleben und zu gedeihen. Resilientere Organisationen können Bedrohungen und Chancen, die sich aus plötzlichen oder allmählichen Veränderungen in ihrem internen und externen Umfeld ergeben, vorhersehen und darauf reagieren. […] Organisationen können nur mehr oder weniger resilient sein; es gibt kein absolutes Maß oder endgültiges Ziel. […]

Es gibt keinen Königsweg, um die Resilienz einer Organisation zu verbessern. Es gibt etablierte Managementdisziplinen, die zur Resilienz beitragen, doch reichen diese Disziplinen allein nicht aus, um die Resilienz einer Organisation zu gewährleisten. Vielmehr ist die organisationale Resilienz das Ergebnis des Zusammenspiels von Eigenschaften und Aktivitäten sowie von Beiträgen aus anderen technischen und wissenschaftlichen Fachgebieten. Diese werden durch die Art und Weise beeinflusst, wie mit Unsicherheit umgegangen wird, wie Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden und wie Menschen zusammenarbeiten.“4

Die ISO ist eine gute Checkliste und hat ihre Berechtigung. Was nicht so deutlich wird sind die Paradoxien bzw. Dilemmata, die sich in der realen Umsetzung ergeben.
In der Verdichtung läuft es auf drei Zielfelder hinaus, die darauf einzahlen, dass Überlebensfähigkeit und Entwicklung gestärkt werden.

Resilienz ist nicht beobachtbar

In der Praxis hat sich herausgestellt, dass der Begriff der Resilienz wie ein nasses Stück Seife immer wieder dem Zugriff entgleitet. Es handelt sich offenbar nicht um ein Ding oder um einen Zustand, der einmal erreicht ist, sondern um eine Zeit verbrauchendes Wechselspiel verschiedener Faktoren, die immer wieder neu entschieden werden. Das Entscheiden ist ein kommunikatives Geschehen. Es basiert aber immer auf Annahmen über die Zukunft.  In der Gegenwart, solange ein System besteht, ist es resilient. Erst wenn es endet, war es nicht resilient und man kann dann neue Annahmen aufstellen, welche Entscheidungen zum Ende geführt haben.

„Nach Slobodkin ist die Evolution wie ein Spiel, aber ein besonderes, bei dem die einzige Belohnung darin besteht, im Spiel zu bleiben. Daher ist die wichtigste Strategie, die gewählt wird, nicht diejenige, die entweder die Effizienz oder eine bestimmte Belohnung maximiert, sondern diejenige, die ein Fortbestehen ermöglicht, indem sie vor allem Flexibilität bewahrt.“5
Es bleibt also eine ständige Beobachtungsaufgabe (!) der Organisation, sich mit Resilienz zu beschäftigen, ohne dass man an einen zu erreichenden Endzustand kommt.

Resilienz ist eine Beobachtungsperspektive

Die Beobachtung kann dann funktionieren, wenn man den Begriff der Resilienz in mögliche Bestandteile auflöst. Was kann dazu dienen, im Spiel zu bleiben? Im Folgenden werden hier drei Begriffe angeboten (siehe auch Grafik), mit denen man „spielen“ kann. Diese Begriffe sind selbst wieder Beobachtungsperspektiven und auch Ziele. Diese Ziele sind nicht widerspruchsfrei zu erreichen. Man kann auch probehalber einen Begriff weglassen, und schauen, ob man mit zweien auskommt.

Zielfelder der organisationalen Resilienz

Robustheit

Am meisten wird der Begriff der Resilienz mit Robustheit assoziiert. Sie umfasst einerseits die Fähigkeit, unerwünschte Einwirkungen und Krisen abzufedern und sich schnell zu erholen. Die Grenzen dieser Fähigkeit werden idealerweise nicht ausgetestet. Dafür hat die Organisation ein passendes Risikobewusstsein, das die Entscheidungen der Verantwortlichen begleitet. Ein wesentlicher Faktor zum Abfedern ist zudem die Fähigkeit, vorhandene Ressourcen einsetzen zu können, seien es physische, geistige oder kommunikative. Hier hat auch das Redundanzprinzip seinen Platz, also das „doppelt hält besser. Klar ist aber auch, dass unbegrenzte Robustheit nicht möglich ist. Ein Auto z.B. hat ein Zweikreis Bremssystem, um den Ausfall eines der beiden Kreise abfangen zu können. Aber nicht alles ist doppelt ausgeführt und Leichtgewichtsbau erhöht die Effizienz nicht zuletzt im Energieverbrauch, aber reduziert die Langlebigkeit vieler Komponenten im Fahrzeug.

Anpassbarkeit/Flexibilität

Diese beginnt bereits beim Antizipieren und Beobachten von Veränderungen. Hier geht es auch um organisationale Achtsamkeit und das Hinterfragen von Organisationsroutinen. Hier ist auch ein wichtiger proaktive Teil organisationaler Resilienz angesiedelt: das aktive Suchen und Nutzen von Chancen auch angesichts von unerwarteten Störungen sowie den Mut, Ressourcen auf potenziell aussichtsreichere Geschäftsfelder umzuleiten. Dieser Fokus auf Innovation wird sowohl von sich ändernden Kundenbedürfnissen getrieben, die zu Produktinnovationen führen, als auch von technologischem Wandel und Wettbewerbern, welche Prozess und Geschäftsmodellinnovationen stimulieren. In diesem Geschehen kommt auch alles zum Zuge, was sich bisher unter dem Stichwort der Agilität bewährt hat.

Effizienz

Eine Organisation muss leistungsfähig sein. Bürokratische oder unkoordinierte Prozesse erzeugen jedoch nicht nur (zu) hohe Kosten, sondern sind häufig auch unübersichtlich, zu langsam oder unberechenbar. Die Ressourcen, die hier aufgewendet werden, fehlen an anderer Stelle. Damit wird die Zukunftsfähigkeit reduziert, denn die effiziente Organisation kann mehr Geld für das Neue oder die Abpufferung von Unerwartetem einsetzen. Gerade die sogenannten HROs6, also Hochzuverlässigkeitsorganisationen wie Feuerwehren oder Luftfahrtbetriebe haben idealerweise sehr klare, effiziente Routinen, die sowohl für den Normalbetrieb als auch für das Unerwartete entsprechende Abläufe vorsehen, die bei aller Struktur das Gegenteil von bürokratisch sind.

Die Paradoxie der Resilienz

Wenn man die hier beschriebenen drei Faktoren als diejenigen anzusehen bereit ist, die in ihrem Zusammenspiel die Bedingungen für eine möglichst resiliente Organisation schaffen, so wird auffallen, dass jeder Faktor auch eine Einschränkung der anderen beiden bedeuten kann. Am bekanntesten ist die Paradoxie, die unter dem Begriff der Ambidextrie (Beidhändigkeit) auch als Lösung gehandelt wird, nämlich die von Effizienz und Innovation. Diese auch unter exploitation (Ausschöpfung) und exploration (Erkundung) bekannte Dualität besagt, dass man nicht gleichzeitig (!) alles Bestehende optimal ausnutzen kann und gleichzeitig Ressourcen für die Erforschung neuer Innovationen nutzt. Die „Lösung“ heißt dennoch, dass man beides tun muss. Aber die Zeit, die man in Optimierung steckt, hat man eben nicht für Innovation und umgekehrt. Was man machen kann ist, beides nicht zu optimieren bzw. zeitlich zu oszillieren. Die meisten Organisationen tun übrigens genau das. Nur eben nicht bewusst gestaltet, sondern meistens in beide Richtungen zu extrem.
Um Beispiele aus aktuellen Resilienz-Projekten zu bringen: Für eine gesteigerte Robustheit in der Lieferkette wurden Produktsegmente gebildet, die zur Folge haben, dass die top Produkte einen Reservezuschlag erhalten, aber andere Produkte nur noch einmal im Jahr und maximal so weit produziert werden, wie eine plausible Prognose das vorsieht. Nachdem das alles geplant wurde, musste aber gespart werden. Was liegt näher, als an der Reservekapazität zu sparen (und damit die Robustheit zu reduzieren)? Zeitgleich fällt vielleicht dem Vertrieb auf, dass mit den reduzierten Produktionsmengen im Standardbereich (Effizienz bzw. Reduktion unnötiger Kapitalbindung) die Flexibilität reduziert wird, auf Wachstum zu reagieren.
Um die Anpassungsfähigkeit zu erhöhen, werden immer noch in vielen Organisationen agile Konzepte eingeführt. Das führt zu einer höheren (und zumindest zum Teil gewollten) Instabilität in der Organisation.
Es gibt also eine Schnittmenge zwischen den Faktoren, aber jede Entscheidung hat einen Preis. Das „Optimum“ zwischen den drei Faktoren ist also bestenfalls retrospektiv feststellbar. Dann könnte man sagen: hätten wir nicht so viel Geld in das gescheiterte Innovationsprojekt gesteckt, sondern wären schön schlank bei unserem Kerngeschäft geblieben, stünden wir heute besser da. Oder man könnte als Automobilbauer sagen: hätten wir mehr Geld in Innovation gesteckt, statt das bestehende zu optimieren (z.B. massiv in die Technologie und Infrastruktur der Elektromobilität investiert), dann würden wir im internationalen Wettbewerb heute besser dastehen. Resilienz klingt, um mit Luisa Neubauer zu sprechen, nach „einem kleinen Haustier, um das man sich kümmern kann, weil es so niedlich ist“. Aber eigentlich geht es, wie beim Klimawandel, darum, langfristig im Spiel zu bleiben.

Resilienz als Kompetenz, mit dem Nicht-Wissen umzugehen

Hätten man alle Informationen über den Zustand der eigenen Organisation und den Markt, gäbe es immer noch das Problem mit der Zukunft. Es wird trotz besserer digitaler Datenhaltung und KI nicht anders werden – man kann sich an der „Kontrolle von Intransparenz “ beteiligen, aber die Zukunft und damit der Erfolg der Entscheidungen beleibt ungewiss. Zudem unterliegen die Entscheidungen für Resilienz dem Prophylaxe Paradoxon: wenn eine Organisation viel dafür getan hat, resilient zu arbeiten, ist die Folge, dass eine Krise gar nicht erst große Wirkung entfalten kann oder das Entdecken von Chancen ganz anderen Ursachen zugerechnet wird. Die Kritiker werden dann im Nachhinein sagen, dass die Resilienz-Maßnahmen zu umfangreich und zu teuer waren. Aber auch diese Kritiker haben eine sinnvolle Funktion!
Letztendlich kann die Organisation ihre Resilienz nur dann erhöhen, wenn sie sich immer wieder dabei beobachtet, wie sie die einzelnen Faktoren gegeneinander abwägt und sich damit zwingt, sich und die Umwelt genauer zu beobachten, als wenn sie das ohne diese Perspektive tun würde.

Wollen Sie mehr erfahren? Dann melden Sie sich zu unserer Zukunftstagung am 30.08.2024 an!

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1 Holling C.S., Resilience and Stability of Ecological Systems. S. 21 Institute of Resource Ecology, University of British Columbia, Vancouver, Canada 1973

2 https://usawc.libanswers.com/faq/84869

3 Holling C.S.: Resilience of ecosystems; local surprise and global change. In: W. C. Clark, R. W. Munn (Hrsg.): Sustainable development of the biosphere. Cambridge, UK, Cambridge University Press, 1986, S. 292–317.

4 ISO 22316:2017-03 Security and resilience — Organizational resilience — Principles and attributes

5 Slobodkin, L. B. 1964, The Strategy of Evolution, Am. Sci. 52:342-57 zitiert in C.S. Holling

6 Weick, Karl E. und Sutcliffe, Kathleen Das Unerwartete Managen. Schäfer Poeschel, 3. vollständig überarbeitete Auflage 2016