Warum es gute Retrospektiven braucht, berichtet Andrea Kaminski aus ihrer Perspektive als Beraterin und OKR-Master/Coach, die Teams in der IT-Welt begleitet.
Agile Methoden sind in aller Munde. „Wir scrummen jetzt bei uns“ höre ich mittlerweile vermehrt. Oftmals steht hinter dieser Aussage der Wunsch, der erlebten VUCA-Welt und dem digitalen Transformationsprozess etwas Greifbares, Messbares, Konkretes abzuringen.
Der Wissensaufbau in Unternehmen und Organisationen sowie die Effizienzsteigerung wird dann gefördert, wenn sich Menschen in ihren Lernzonen befinden, reflektieren und Veränderungen eigenständig auf den Weg bringen. Iterativ-inkrementelles Vorgehen in komplexen Umfeldern spielt dabei eine Schlüsselrolle für Erfolg in (agilen) Projekten. Genau diese Rahmenbedingungen können mit der OKR-Methode geschaffen werden.
Was einen OKR-Zyklus ausmacht
Das Planning eines OKR-Teams, das auf die Vision, das Unternehmensleitbild oder die Jahresziele der Organisation Bezug nimmt, bildet den Startpunkt für die agile Zusammenarbeit. Sachlich konkret leitet jedes Team für den definierten Zeitraum Objectives und Key Results ab. Anschließend werden diese mit den anderen Teams oder Abteilungen der Organisation abgeglichen (alignt). Im Alignment Meeting werden ggf. doppelte oder widersprüchliche gesetzte Ziele und Aufgaben identifiziert und anschließend fokussiert.
Ist das Team arbeitsfähig und die Aufträge im Kontext der Unternehmensvision sind allen klar, beginnt die Arbeitsphase, welche oftmals in virtuellen Teams und parallel zum Tagegeschäft stattfindet. Regelmäßig, wie im Planning vereinbart, findet das Team jede oder alle zwei Wochen zusammen, um über die Fortschritte, Erkenntnisse oder Fragen zu sprechen. Oder auch, um die Ausrichtung der gesetzten Ziele oder Objectives miteinander zu klären, die ggf. zwischenzeitlich beim Machen und beim Abgleich mit der Außenwelt diffuser erscheinen mögen. Fokus ist hier das richtige Stichwort. Es bedarf viel Abstimmung untereinander, um gemeinsam Ergebnisse zu erzielen. Diese Ergebnisse werden im Review dem Board präsentiert. Das Review ist ein wichtiger Termin für das Team und für jedes Mitglied. Denn hier zeigt sich, ob die Strategie des Zyklus aufgegangen ist, wann und wo Kurswechsel oder Basisentscheidungen stattgefunden haben, was erreicht wurde und welche Erkenntnisse vorzuweisen sind. Alle beteiligten Teammitglieder bekommen den Raum das Geleistete und damit ihren Beitrag zu den Unternehmenszielen vorzustellen. Mehr zur Methode OKR
Am Ende angelangt - Die Retrospektive
Wenn wir auf die Events eines Sprints oder Zyklus blicken, beendet die Retrospektive einen gesetzten Zeitrahmen. Sie beschäftigt sich rückblickend (im definierten Zeitraum) mit der Zusammenarbeit im Team im Kontext des Umfeldes und der geleisteten Ergebnisse (Objectives/ Ziele).
Zentrale Fragen der Retrospektive lauten:
- Was können wir aus dem letzten Zyklus lernen - als Team aber auch für und über unsere Organisation?
- Wie haben wir zusammengearbeitet? Was können, müssen oder wollen wir anders bzw. besser machen, um gute, ggf. besseren Output zu generieren und sowohl konstruktiv als auch erfolgreich miteinander zu arbeiten?
- Was sind unsere konkreten Maßnahmen dafür und für den nächsten Zyklus?
- Wie war unser Ressourceneinsatz?
Um diese Fragen und Themen des Teams gemeinsam zu beantworten, stehen unter Berücksichtigung der Vegas-Regel[1] und der obersten Direktive[2] zum einen ein phasenorientiertes Strukturangebot zum anderen dynamisch-kreative Methoden bereit, die die Teamphasen und gruppendynamische Prozesse berücksichtigen und das Gehirn anregen.
Sowohl die Highlights als auch die Lowlights haben in der Retrospektive Platz, stets mit dem Blick darauf, was wir daraus lernen. Es tut ungemein gut, einen Haken („check“) an etwas Erledigtes zu setzen und dabei einen Schritt weiter oder auch weiser zu sein. Es bleibt stets viel zu tun und zu berücksichtigen, manche Themen bleiben auch länger im Backlog bzw. auf der Agenda. Erfolge zu feiern und zurück zu lassen, was sich nicht bewährt hat (personal und organisational), gehört ebenfalls dazu.
Gesundes Konfliktmanagement zu betreiben, ist eine Visitenkarte von und ein weiterer Erfolgsfaktor für Unternehmen. Mit einer klaren Fehlerkultur können Probleme ausgeräumt und Professionalisierung und Perfektionierung Einzug halten.
In der Retrospektive bekommen unterschiedliche Standpunkte Raum und Zeit; Perspektiven werden beleuchtet und auf den konkreten Zielkontext hin betrachtet. Das Team sucht eigene Lösungen und konzentriert sich auf gemeinsame Vereinbarungen, der Teamprozess hat einen hohen Stellwert.
Reflektieren, sprechen, wachsen
In dem Zeitfenster, in dem das Team physisch präsent ist, nähern sich die Erfahrungswelten der sozialen Systeme beim Rückblick auf das Geleistete und den Prozess dahin an. Es entsteht ein besonderer Erfahrungsraum der Teammitglieder, die hier so manches Mal Synergieeffekte der Zusammenarbeit erleben. Eine gut moderierte Retrospektive nutzt diese Präsenzzeit, um in einer Lernatmosphäre Wachstum zu ermöglichen. Feedback und Feedforward untereinander, miteinander, auf personaler und auch organisationaler Ebene verschafft Klarheit, Ausrichtung und Entlastung. Eine wertschätzende Haltung, wie sie z.B. durch die oberste Direktive vorgegeben wird, spielt hierbei eine große Rolle. Getroffene Vereinbarungen und adäquate Maßnahmen dienen im nächsten Zyklus ebenfalls dazu. Das soziale System lernt.
Wann, wenn nicht jetzt?
Ich gestalte die Retrospektive auch als Moment des Durchatmens und möchte dieses Zeitfenster auch so erlebt wissen. Wenn wir weiter durchs Hamsterrad laufen, kommen wir weder zur Ruhe für einen klaren, reflektierenden Blick auf das System oder das übergeordnete Ganze, noch sammeln wir Energie für den nächsten Schritt und Zyklus. Wir schauen bewusst zurück und atmen dabei aus. Einatmend beleuchten wir das System: Die Unternehmensziele, Teamziele, den Prozess und die Interaktionen sowie die Akteure.
Da sinngebende Aktivität das ist, wonach wir streben, finden wir hier als Team einen Ankerpunkt, von dem ausgehend der nächste Schritt bewusst folgt.
Das Team induziert die Veränderungen selbst und stärkt damit die eigene Selbstwirksamkeit.
Das konkrete Anpacken beginnt beim Planning des Folgezyklus und mündet im Alignment-Meeting. Dieses stellt die Plattform dar, auf der alle Teams und Abteilungen um die Erkenntnisse des letzten Zyklus reicher werden und mit neuen, weiteren Zielen bzw. Key Results bestückt in den Austausch treten.
Hier darf Lernen stattfinden, jede Organisationseinheit hat gelernt und die Organisation lernt weiter, was einen generischen Veränderungsprozess ausmacht.
[1] Die Vegas-Regel lautet „What happens in Vegas, stays in Vegas.“ Im Zusammenhang mit OKR dient sie der Vertraulichkeit und meint, dass alles, was besprochen wird, innerhalb des Teams bleibt. Es sei denn, es wird gemeinsam beschlossen, am Ende der Retrospektive Themen öffentlich zu machen.
[2] Oberste Direktive: „Wir sind davon überzeugt - egal was wir heute erkennen - dass alle Beteiligten zu jedem Zeitpunkt nach bestem Wissen, Gewissen und Kenntnisstand gehandelt haben.“ (Judith Andresen, Retrospektiven in agilen Projekten)